Inklusion / 07.12.2022

Gemeinsam unterrichten im inklusiven Klassenzimmer

Inklusion in der Praxis: Teamteaching 

Eine extrem heterogene Klasse gemeinsam mit einer Regel- oder Förderschullehrkraft unterrichten? Mit diesen Praxistipps legen Sie zielsicher den Grundstein für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Nutzen Sie die Chancen, die die Teamarbeit bietet. Es lohnt sich!

Zwei Lehrerinnen besprechen sich im Lehrerzimmer
Bild: Shutterstock.com/stockfour

Noch ungewohnt: als Team unterrichten

Der inklusive Unterricht verändert vieles – das wissen Sie vermutlich aus erster Hand. Neben den offensichtlichen Fragen zum richtigen Umgang mit den Schülern gibt es eine weitere wichtige Neuerung, die mitunter für viel Wirbel sorgt: Um alle Schüler einer inklusiven Klasse bestmöglich fördern zu können, müssen Regelschullehrer/-innen und Förderschullehrer/-innen eng zusammenarbeiten. Nun sind Lehrkräfte in Deutschland in der Regel Einzelkämpfer, die allein vor ihrer Klasse (be-)stehen und ihren Unterricht auch „im Alleingang“ vorbereiten. Der Gedanke, dass aus diesem beruflichen "Single-Dasein" plötzlich Teamarbeit werden soll oder muss, sorgt darum auch nicht allseits für Begeisterung.

Natürlich braucht es etwas Zeit, um ein wirklich eingespieltes Team zu werden. Missverständnisse, Konflikte und auch Mehrarbeit lassen sich gerade am Anfang nicht komplett ausschließen.

Das ist aber nun wirklich kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen: Die besten Praxistipps für eine erfolgreiche Kooperation im Unterricht, haben wir einmal komprimiert für Sie zusammengestellt. In enger Anlehnung an den "Ratgeber Inklusion: Gemeinsam besser unterrichten – Teamteaching im inklusiven Klassenzimmer" von Inge Krämer-Kılıç, (Hrsg.) Tina Albers, Afra Kiehl-Will und Silke Lühmann (Verlag an der Ruhr, ISBN 978-3-8346-2510-69) beschäftigen wir uns mit der Frage, wie Sie am besten die Weichen für eine gelingende Teamarbeit stellen.

Formen der Zusammenarbeit

Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, die Zusammenarbeit zu gestalten. Sie können sich zum Beispiel in Lehrkraft und Beobachter oder in Lehrkraft und Assistenz aufteilen. Einer von Ihnen übernimmt dann die Hauptverantwortung für den Unterricht, während der andere beobachtet beziehungsweise einzelne Schüler unterstützt. Sie können die Klasse auch in zwei Hälften teilen und parallel unterrichten oder beim Stationenlernen die Verantwortung für verschiedene Stationen übernehmen. Im alternativen Unterricht wiederum unterrichten Sie auf zwei Schwierigkeitsstufen. Beim Teamteaching schließlich unterrichten Sie die Klasse gemeinsam; die Leitung der Stunde übernehmen Sie dabei entweder abwechselnd oder zusammen – es kooperieren also nicht nur die Schüler, sondern auch Sie als Lehrkraft.

Die richtigen Strukturen schaffen

Sorgen Sie von Anfang an für professionelle und sinnvolle Strukturen, die Ihnen die Teamarbeit erleichtern. Vereinbaren Sie verbindliche Anwesenheitszeiten in der Schule außerhalb des Unterrichts und sprechen Sie feste Zeiten für die gemeinsame Planung ab. Damit die gegenseitige Abstimmung im hektischen Schulalltag nicht unter die Räder kommt, etablieren Sie eine Teamstunde im Stundenplan, in der alle Teammitglieder zur Verfügung stehen und nicht anderweitig im (Vertretungs-)Unterricht im Einsatz sind. In dieser fixen Stunde kümmern Sie sich um die langfristige Planung von Unterrichtseinheiten, Projekten und anderen Vorhaben. Für kurzfristige Infos oder Absprachen reichen dann natürlich auch Telefon oder E-Mail.

Für eine wirklich erfolgreiche Zusammenarbeit tragen alle Beteiligten die Verantwortung und entlasten sich so gegenseitig. Sie planen, unterrichten und bewerten zusammen und schneiden den Unterricht gemeinsam auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler zu. Ihre Zusammenarbeit ist ein Vorbild für Ihre Schüler und Sie ziehen ganz bewusst an einem Strang; Sie bringen Ihr spezifisches Know-How, Ihre Erfahrungen und Vorstellungen konstruktiv ein, damit Sie gemeinsam noch besser unterrichten können.

Orientieren Sie sich dafür an den klassischen Merkmalen guter Teams:

  • wertschätzendes Miteinander,
  • gegenseitiges Vertrauen,
  • Zuverlässigkeit,
  • gemeinsame Ziele,
  • Arbeitsteilung,
  • regelmäßige Absprachen,
  • konstruktiver Umgang mit Konflikten,
  • Kommunikation miteinander, nicht übereinander und
  • Spaß an der (Zusammen-)Arbeit.

Grundlegendes klären

Stimmen Sie sich vorab über alle wichtigen Grundlagen ab. Werden Sie sich über Ihre – vielleicht unterschiedlichen – Vorstellungen klar und schließen Sie gegebenenfalls Kompromisse. Legen Sie fest, welche Erziehungsziele Sie ansteuern, welche Regeln im Unterricht gelten sollen und welche Sanktionen oder Belohnungen zum Einsatz kommen sollen. Stimmen Sie Ihre Rollen und Ihr Auftreten nach außen ab und einigen Sie sich, wie Sie die Aufgaben verteilen und das Zusammenspiel gestalten wollen.

Bei der Aufgabenverteilung können Sie beispielsweise eine Gliederung in Unterrichtsplanung, Material, Lernstandsanalyse, Elternarbeit und Sonstiges vornehmen. Legen Sie eine Tabelle an und erfassen Sie die Aufgaben in den verschiedenen Bereichen. Die Unterrichtsplanung kann zum Beispiel folgende Punkte umfassen: Festlegung von Unterrichtsgegenständen; Stoffverteilung; Differenzierung; Klassenraumgestaltung; Festlegung von Lernorten; Regeln, Rituale, Verfahrensweisen und Konsequenzen; Maßnahmen Nachteilsausgleich. 

Beim Material legen Sie fest, wer sich um folgende Aufgaben kümmert: allgemeine Unterrichtsmaterialien, Differenzierungsmaterialien, Fördermaterial sowie Besorgung spezieller Materialien. Bei den Lernstandsanalysen sollten Sie diese Punkte bedenken und Verantwortlichkeiten zuteilen: Lernentwicklungsstand aller Schüler; Dokumentation der individuellen Lernentwicklung; Lernentwicklungsstand der Schüler mit besonderen Bedürfnissen; Förderpläne; Verfahren bei sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf.

Die Elternarbeit unterteilen Sie zum Beispiel in "Gespräche mit den Eltern" und "Elternabende"; "Sonstiges" meint alles, was mit besonderen Bedürfnissen eines Schülers zu tun hat – also Hilfsmittel, Pflege oder lebenspraktische Unterstützung. Ergänzen Sie zum Schluss die vier Spalten: "Planung Regelschulkraft" und "Durchführung Regelschulkraft" sowie "Planung Förderschulkraft" und "Durchführung Förderschullehrkraft". Dann müssen Sie nur noch ankreuzen.

Die Teamarbeit als Chance begreifen

Den Unterricht für eine extrem heterogene Klasse gemeinsam vorzubereiten und durchzuführen ist sicherlich eine Umgewöhnung, die Sie vor die eine oder andere Herausforderung stellt. Lassen Sie eventuelle Hürden aber nicht den Blick auf die Chancen trüben: Gemeinsam bündeln Sie Ihre Stärken, Erfahrungen und Ihr Know-how, können sich gegenseitig unterstützen, inspirieren und zum Perspektivwechsel ermuntern. So können Sie sich weiterentwickeln, den Unterricht optimieren und Sie werden entlastet. Gemeinsam ist man eben doch stärker.

Literatur
"Ratgeber Inklusion: Gemeinsam besser unterrichten – Teamteaching im inklusiven Klassenzimmer" von Inge Krämer-Kılıç, (Hrsg.) Tina Albers, Afra Kiehl-Will und Silke Lühmann, Verlag an der Ruhr, ISBN 978-3-8346-2510-6

Herausforderungen und Verhaltensauffälligkeiten von A bis Z - Wie kann ich helfen? - Ratgeber

Herausforderungen und Verhaltensauffälligkeiten von A bis Z

Wie kann ich helfen?

Ratgeber

Wie gelingt inklusiver Unterricht? – Interview mit Birgit Herzog und Daniela Olschweski 

Fünf Fragen an die Leipziger Grundschul- und Förderschullehrerinnen Birgit Herzog und Daniela Olschewski, die für ihre Umsetzung von Inklusion den Cornelsen Stiftungspreis Zukunft Schule erhalten haben.

Welche Schritte empfehlen Sie für den Anfang?

  1. Fordern Sie ein Zweilehrersystem ein und praktizieren Sie Teamteaching mit zwei gleichwertigen Partnern. Dazu gehört: eine gemeinsame Vision entwickeln, viel Kommunikation untereinander und klar abgesteckte Aufgabenbereiche.
  2. Gehen Sie von einer gemeinsamen Schülerklientel aus, betreiben Sie keine Sonderfallbehandlung!
  3. Informieren Sie über gut laufende Projekte, die Beispiel geben können, und nutzen Sie die Fortbildungsmöglichkeiten.

Wie bleibt im Unterricht genügend Zeit für eine individualisierte Betreuung?

Mit einer langfristigen, gezielten und klar strukturierten Planungsarbeit. Da gleichen wir Arbeitsmaterialien und Unterrichtsstrukturen an und stecken lehrplangerecht Zielvorgaben ab. Im Unterricht setzen wir einen Mix aus individuellem, also lernzieldifferentem, und gemeinsamem Lernen ein. Die offenen Unterrichtseinheiten geben den Freiraum für eigenständiges Lernen und ermöglichen eine individualisierte Betreuung.

Wie gelingt die Kommunikation mit Eltern, Kollegen und der Schulleitung?

Bei uns ist die Planungsarbeit jederzeit transparent. Wir hängen Jahres- und Wochenplänen aus, die für alle Beteiligten einsehbar sind. Wir achten darauf, dass die Absprachezeiten intensiv genutzt werden, und pflegen eine Hospitationskultur. Außerdem binden wir neue Medien ein, um zeitnah kommunizieren zu können.

Wie setze ich – auch hinsichtlich eines begrenzten Budgets – die richtigen Prioritäten?

Budget im finanziellen Sinne hat nichts mit der Gestaltung guten Unterrichts zu tun (siehe John Hattie)! Wir verschaffen uns einen Überblick auf Buchmessen und in anderen Foren, greifen viel auf bewährte, kindgerechte Materialien zurück. Vor allem aber arbeiten wir mit kompetenten Mitarbeitern zusammen, die in die Weiterentwicklung von Unterrichtsmaterialien involviert sind.

Aus welchen Fehlern haben Sie gelernt?

Aus vielen Fehlern, vielleicht am wichtigsten: Keine vorzeitige Kapitulation! Denn:

  1. Je mehr Personen zusammenarbeiten müssen, umso schwieriger werden Absprachen.
  2. Nicht jede Form der Freiarbeit ist geeignet, wenige ausgewählte Methoden bringen oft mehr.
  3. Wir dürfen nicht in Leistungsdruck verfallen.
  4. Hilfesysteme müssen konsequent und penetrant eingefordert werden.

Fortbildungen der Cornelsen Akademie

Inklusion erfolgreich auf den Weg bringen (SchiLf)
Sie erhalten im Baukastensystem eine umfassende Unterstützung auf dem Weg zur inklusiven Schule, so dass Ihre Einrichtung schrittweise eine Schule für alle Kinder wird.

Inklusion in der Schule – systematische Reflexion (SchiLf)
Sie überprüfen und ggf. aktualisieren Ihr Wissen zum aktuellen Stand der Diskussion um Inklusion. Sie tauschen sich grundlegend im Kollegium darüber aus, ob sich im praktischen Handeln ein gemeinsames Verständnis der komplexen Idee von Inklusion entwickelt hat oder ob es eher um den kollegialen Umgang mit Differenzen gehen muss.

Schlagworte:

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