Achtsamkeit & Gesundheit / 22.06.2018

Wenn Lehrkräften der Burn-out droht

Was tun gegen die zunehmenden Belastungen im Schulalltag?

Lehrkräfte sind vielen Belastungen ausgesetzt, ein großer Teil von ihnen leidet stark unter dem Stress. Die hohe Zahl von Frühpensionierungen, Burn-outs und Depressionen unter Lehrkräften belegt dies. Wir sprechen mit Prof. Dr. Nadia Sosnowsky-Waschek, Professorin für Gesundheits- und Klinische Psychologie an der SRH Hochschule Heidelberg, über die Ursachen und die Möglichkeiten der Prävention.

Bild: Shutterstock.com/stockfour

6 Ideen gegen Stress in der Schule

Der Arbeitsalltag von Lehrer/-innen ist stressig. Wer sich rechtzeitig damit vertraut macht, wie er gut mit Belastungen umgehen kann, oder sie erst gar nicht aufkommen lässt, ist deutlich weniger anfällig für psychische Erkrankungen. Individuell passende Verhaltensweisen und Aktivitäten in seinen Alltag einzubauen, ist nicht schwer, und es gibt dafür eine Vielzahl von Möglichkeiten. Wir stellen Ihnen einige vor.

1. Sich täglich ein „Goodie“ gönnen

Großen Erfolgen gehen oft schon viele kleine, stärkende Erlebnisse voraus, ist Nikolaus Kirstein, Lehrer in Wien und Autor des Buches „99 Tipps: Lehrergesundheit erhalten“, überzeugt. Machen Sie sich daher jeden Tag einen kleinen Erfolg bewusst und genießen Sie einen guten Moment: eine gelungene Unterrichtsstunde, eine gut erledigte Verwaltungsarbeit oder die Erfahrung, selbst etwas dazugelernt zu haben.

2. Ansprüche zurechtrücken

Machen Sie sich klar, dass Sie als Profi nicht für alles zu haben sind, rät Kirstein. Sagen Sie „Nein!“, wenn die Schülerinnen und Schüler Anforderungen äußern, die Sie nicht erfüllen können und wollen. Und: Sprechen Sie darüber offen mit den Schüler/-innen. Die Chancen stünden gut, dass sie Lehrer/-innen gerechter beurteilen und ihre Ansprüche anpassen, wenn sie mehr Einblick in die Lehrertätigkeit erhalten. So schützen Sie auch Ihren Schulalltag vor Überlastung, empfiehlt der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV).

3. Verantwortung übernehmen, aber auch zurückweisen

Lehrkräfte müssen vieles nebenbei machen, was nicht zu ihrer Kernaufgabe, dem Unterrichten, zählt. Das sind nicht nur administrative Tätigkeiten, sondern auch sorgende und therapeutische, lebensberatende, juristische oder wirtschaftliche Aufgaben. Ziehen Sie klare Grenzen, wenn ein Fachmann das besser machen kann. Oder, wie es Kirstein auf den Punkt bringt: „Ein echter Profi lehnt Arbeiten ab, die er nicht qualifiziert ausführen kann.“ Ein Elektroinstallateur kümmere sich auch nicht noch nebenbei um das Verlegen des Parketts.

4. Zu Stundenbeginn zentrieren

Der Schulalltag ist eng getaktet. Deshalb lohne es sich, zu Beginn der Unterrichtsstunde ein paar Minuten für ein Ritual zu reservieren, das den Wechsel von hektischer Aktivität zu gelassener Aufmerksamkeit signalisiere, findet Kirstein. Eine kurze Übung zur Entspannung aus dem autogenen Training oder eine einfache Yogaübung sind Beispiele, mit denen Sie die Schüler/-innen nach der anfänglichen Überraschung begeistern können.

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5. Mehr Profi-Talk mit Kolleginnen und Kollegen

Sprechen Sie mit Kolleginnen und Kollegen über Unterrichtsideen, Probleme und stressige Situationen, vielleicht bei einem gemeinsamen Mittagessen. In diesen „Profi-Talks“ haben Sie die Chance, kompetente Einschätzungen zu bekommen und Kraft zu tanken. Aber übertreiben Sie nicht und achten Sie darauf, dass das Milieu im Lehrerzimmer nicht in permanenter Klage „ertrinkt“, raten die Experten des BLLV. Sie halten eine Coachinggruppe mit vertrauten Lehrerkollegen für optimal.

6. Sich körperlich in Schwung bringen

Der Körper braucht Bewegung – werden Sie regelmäßig aktiv. Egal ob Joggen, Radfahren, Schwimmen, ein Mannschaftssport oder ein regelmäßiger Spaziergang: Bewegung hilft, Stress abzubauen.
 

Lehrerstress hat viele Facetten

Burn-out versus Depression: Der Burn-out – das „Ausgebranntsein“ – zählt wissenschaftlich nicht als eigenständige Krankheit, anders als die Depression. Er beschreibt vielmehr einen Zustand der Erschöpfung, der verminderten Leistungsfähigkeit und Überlastung. Häufig wird er als eine Vorstufe zur Depression gesehen und ist gesellschaftlich weniger stigmatisiert: Während eine Depressionen oft lange verschwiegen wird, werden Burn-out-Gefahren etwa bei Managern oder Leistungssportlern offener diskutiert.

Risikotypen: Laut wissenschaftlichen Befragungen, die der Aktionsrat Bildung in diesem Frühjahr zusammengefasst hat, ist etwa ein Drittel der Lehrkräfte burn-out-gefährdet. Ein weiteres Viertel gilt ebenfalls als Risikogruppe: Lehrer, die sich selbst überfordern und verausgaben, aber wenig zufrieden und ausgeglichen sind.

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Interview mit Prof. Dr. Sosnowsky-Waschek

Lehrer gelten als besonders anfällig für Burn-out, Depressionen und andere psychische Erkrankungen. 30 Prozent der Beschäftigten im Bildungswesen leiden unter psychischen Problemen, stellte im Frühjahr ein Gutachten des Aktionsrats Bildung fest. Wie können Lehrer rechtzeitig feststellen, ob sie selbst betroffen sind?

Prof Dr. Sosnowsky-Waschek: Von einer Selbstdiagnose rate ich dringend ab! Anfangs sind es oft relativ unspezifische und wenig klinisch klingende Beschwerden – Stressanzeichen – wie zum Beispiel nervöse Unruhe, Reizbarkeit, Vergesslichkeit, übermäßiges Schwitzen, Schlafprobleme, schnelle Erschöpfbarkeit, Schwindel, verändertes Essverhalten oder übersteigerter Ordnungssinn. Diese Beschwerden werden von den Betroffenen oftmals als untypisch identifiziert, erzeugen Leidensdruck und führen zu Beeinträchtigungen in der Lebensführung.

Manchmal lassen sich diese Beschwerden zu Syndromen zusammenfassen und beschreiben ein konkretes Störungsbild, zum Beispiel das einer Depression. Hierzu gehören die traurige, niedergeschlagene Stimmung, Verlust von Interesse an Dingen, die früher Freude bereitet haben, Erschöpfung und Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen, Schuld- und Schamgefühle sowie Schlafprobleme – um nur einige zentrale Symptome zu nennen. Ob die Beschwerden tatsächlich für eine Depression sprechen, sollte jedoch ein Experte klären. Dies kann etwa ein Hausarzt, Facharzt für Psychiatrie, psychosomatische Medizin, ein Nervenarzt oder Psychologe sein. Dieser wird den Betroffenen fragen, ob die Beschwerden an der Mehrzahl der Tage über mindestens zwei Wochen auftreten und ob sie durch ein kritisches Lebensereignis wie etwa einen aktuellen Trauerfall erklärbar wären. 

Es muss aber nicht immer die Depressionsthematik sein! Lehrer können auch an anderen psychischen Störungen leiden, so zum Beispiel an Ängsten, chronischen Schmerzen, Alkoholabhängigkeit. Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer beliebigen psychischen Störung zu erkranken, liegt in der Allgemeinbevölkerung bei bis zu 50 Prozent. Wenn gewisse soziale, persönliche und körperliche Vorzeichen vorliegen, kann im Prinzip jeder Mensch – auch ein Kind – psychisch erkranken. Manche Personen haben ein höheres Risiko, eine psychische Störung zu entwickeln, als andere. In der Forschung wird bereits seit Langem diskutiert, ob speziell Lehrer eher aufgrund bestimmter Persönlichkeitscharakteristika und/oder aufgrund zum Beispiel bestimmter ungünstiger, möglicherweise besonders „stressiger“ Arbeitsbedingungen psychosomatisch erkranken. 
 

Gibt es Stressauslöser, unter denen insbesondere Lehrer leiden? 

Prof Dr. Sosnowsky-Waschek: Wir unterscheiden drei Gruppen von Stressoren: Die erste akzentuiert die gesellschaftlichen Einflüsse, also zum Beispiel, wie angesehen Lehrer in der Gesellschaft sind und in welchen politischen Rahmenbedingungen sie agieren. Die zweite Gruppe der Stressoren betrifft die spezifischen Stressfaktoren in der Schule, in der man arbeitet. Etwa wie stark der Lehrermangel zu spüren ist, ob man oft als „Springer“ in fachfremden Unterricht geschickt wird, wie das Klima im Kollegium ist, aber auch, ob es einen Ruheraum in der Schule gibt und die Möglichkeit von Pausenzeiten gegeben ist. Die dritte Gruppe schließlich – und diese Faktoren sind die mächtigsten –, das sind die in der Persönlichkeit verborgenen, individuellen Stressauslöser. Dies können die eigenen Ansprüche sein, zum Beispiel, immer von allen gemocht, gelobt und respektiert zu werden, immer kompetent und sinnhaft agieren zu wollen. Auch Gefühle oder Gedanken können stressauslösend sein, vor allem, wenn sie stark und unkontrollierbar erscheinen und einen belasten. 

Ich persönlich halte auch die fehlende emotionale Selbstfürsorge und Achtsamkeit für einen sehr wichtigen Faktor bei der Entstehung von Stress. Viele Lehrer vergessen sich und ihre Bedürfnisse, machen wenige oder gar keine Pausen im Laufe des Tages, suchen sich wenig soziale Unterstützung, nutzen so gut wie gar nicht solche unterstützenden Angebote wie kollegiale Beratung oder Supervision. Viele Schulen sollten systemischer denken, denn viele Probleme liegen nicht nur in der Person des spezifischen Lehrers verborgen.

 

Können Lehrer Burn-out vorbeugen? 

Prof Dr. Sosnowsky-Waschek: Alles zum Thema psychische Störungen Gesagte lässt sich ebenso auf das Phänomen Burn-out übertragen: Die Ursachen sind vielfältig. Im medizinischen Sinne ist Burn-out jedoch keine Diagnose. Nichtsdestotrotz haben sich seit den 1970er-Jahren bereits Hunderte Wissenschaftler mit dem Phänomen auseinandergesetzt. Ein oft zitierter Konsens ist, dass Burn-out eine Art arbeitsbedingte Erschöpfungsdepression darstellt, dennoch aber gewisse Besonderheiten im Erscheinungsbild aufweist. So ist ein hervorstechendes Merkmal von Burn-out die geistige, emotionale und körperliche Erschöpfung. Die Betroffenen sind leistungsgemindert, arbeiten oftmals weiter und fühlen sich zunehmend ausgelaugt. Sie distanzieren sich oft vom Schüler, was sich durch eine besonders unempathische, zynische, kalte Haltung bemerkbar macht.

Die betroffenen Lehrer sprechen dann von „kleinen Monstern“ im Klassenzimmer, sehen in ihren Schützlingen die Hauptquelle ihres Belastungserlebens. An dieser Stelle erkennt man Parallelen zur Depression. Auch der Burn-out-Betroffene leidet unter der eigenen Haltung, entwickelt Schuldgefühle, resigniert, zieht sich zurück. Inwiefern dieser Mechanismus in der Persönlichkeit verankert ist, ist wieder eine komplexe Frage. Schaarschmidt untersuchte zum Beispiel in seinen Studien Tausende Lehrer in Deutschland und stellte fest, dass bereits jeder dritte Referendar dem Persönlichkeitstypus „Burn-out-Typ“ angehört. Doch wenn Resignation und Depression zum Teil auch gelernt sind, trifft dies auch auf Burn-out zu. Entsprechend kann man sicher behaupten, dass man Burn-out präventiv vorbeugen kann, sofern bei dem Lehrer die Bereitschaft besteht, dies auch tun zu wollen. Letztendlich ist auch hier das zentrale Thema: die Stressbewältigung. 

 

Angenommen, Sie wären Schulleiterin oder Bildungsministerin und ausgestattet mit einem üppigen Budget. Was würden Sie zur Prävention tun? 

Prof Dr. Sosnowsky-Waschek: Für die Kollegen würde ich mir wünschen, dass systematisch und nachhaltig eine Gesundheitskultur entwickelt wird. Dies muss professionell unterstützt werden. Hierzu gehören möglicherweise auch regelmäßige Befindlichkeitsumfragen – Stressbarometer – im Kollegium. Darauf aufbauend sollten Trainingsbausteine für ein erfolgreiches Stressmanagement angeboten und fest in den Schulalltag integriert werden – je nach akutem Bedarf aber auch präventiv.

Wenn ich von Stressbewältigung spreche, meine ich damit weniger Yogastunden und Meditation. Mögliche Bausteine sind Schulungen zur Steigerung der Erholungsfähigkeit, Umgang mit negativen Gedanken oder Gefühlen, Problemlösetraining oder Konfliktmanagement. Insgesamt sollte das nachhaltige Ziel verfolgt werden, das Repertoire an Stressbewältigungsstrategien bei jedem Einzelnen zu erweitern. Schließlich würde ich mich sehr gerne für die Etablierung kollegialer Beratung oder Supervision an Schulen aussprechen. Insgesamt sollte die Gesundheit der Lehrerinnen und Lehrer professioneller und nachhaltiger unterstützt werden. 

 

Fortbildungen der Cornelsen Akademie 

Gesundheitsmanagement in der Schule (SchiLf)
Sie lernen die Ursachen von Gesundheitsbeeinträchtigungen im Schulalltag zu identifizieren und erarbeiten sich Wissen und Methoden, die Ihre Gesundheitskompetenz stärken und Ihren Blick für förderliche Bedingungen in der Gestaltung des Schullalltags schärfen.

Achtsamkeit im Unterricht
In diesem interaktiven Workshop erfahren Sie, was Achtsamkeit bedeutet und wie Sie diese in Ihrem Schulalltag leben und mit Schüler*innen anwenden können. 

Achtsamkeit in Zeiten der Digitalisierung
In diesem interaktiven Workshop erfahren Sie, was Achtsamkeit bedeutet und inwiefern sie eine gute Partnerin der Digitalisierung sein sollte. 

Selbst- und Zeitmanagement – Mehr Zeit für's Wesentliche
Sie erfahren von den vielfältigen und individuellen Möglichkeiten des persönlichen Umgangs mit Zeitfressern und wie Sie Ihren Alltag in Zukunft besser bewältigen können.

Resilienz-Training – gelassener Umgang mit Widerständen 
Sie wollen sich insgesamt besser fühlen und weniger ärgern? Sie möchten lernen Ihre Probleme zu mögen und besser mit ihnen umzugehen? Dann sind Sie beim Resilienz-Training richtig! 

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