Achtsamkeit & Gesundheit / 25.06.2018

Führen und lenken - ein Plädoyer für starke Lehrkräfte

Wie man sich vom Unterrichtsbegleiter zum Unterrichtslenker entwickelt

Als Kind wäre er gern Lokführer geworden. Mit seinem heutigen Beruf gibt es durchaus einige Gemeinsamkeiten. Denn gerade das Lenken und Steuern gehört zum Lehrerberuf dazu, auch wenn es gerade nicht dem Zeitgeist entspricht, davon ist Michael Felten überzeugt. Wir haben mit dem Gymnasiallehrer und Buchautor darüber gesprochen, wie man als Lehrer sein Potenzial ausschöpft.

Bild: Shutterstock.com/tomertu

Nur Lernbegleiter? Unsinn, Lehrer!

Herr Felten, In Ihrem neuen Buch „Nur Lernbegleiter? Unsinn, Lehrer!“ geht es um die Lehrerpersönlichkeit und die Beziehung von Lehrer und Schülern. Wie würden Sie Ihre eigene Lehrerpersönlichkeit charakterisieren?

Michael Felten: Ich arbeite seit nunmehr 35 Jahren als Lehrer und ich würde sagen, die ersten zehn Jahre habe ich gebraucht, um ein guter Lehrer zu werden. Man muss sich Zeit gönnen, Erfahrungen zu sammeln – in Uni-Trockenübungen wäre das schwierig. Heute bin ich ein lebendiger, sehr aktiver und freundlicher Pädagoge. Ich bin relativ entspannt und ganz humorvoll – aber unerbittlich und ehrlich, wenn es um die Leistungen und das Einhalten von Regeln geht. Herzliche Strenge – das trifft es ganz gut.

Was hat Sie dazu gebracht, das Buch zu schreiben?

Michael Felten: Durch PISA hat die schulpädagogische Debatte eine neue Richtung genommen: Wir wollen, dass unsere Schüler bessere Leistungen erzielen und dass sie alle, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Elternhaus, die gleichen Chancen auf gute Bildung haben. Das hofft man durch mehr Eigenverantwortlichkeit der Schüler und mehr Selbststeuerung zu erreichen. Nach meinen Beobachtungen und nach klaren Aussagen aus der Forschung leiden aber gerade die schwächeren Schüler unter dieser „Selbstlerneuphorie“. Und auch den stärkeren Schülern geht es nicht besser, sondern auch sie vermissen etwas. Mit meinem Buch möchte ich dazu ein Gegengewicht schaffen und den Lehrer als „Unterrichtslenker“ rehabilitieren.

Die Scham und das schlechte Gewissen vieler Lehrer, wenn sie Frontalunterricht machen oder, anders formuliert, sich für die „direkte Instruktion“ entscheiden, halten Sie für überflüssig. Warum? 

Michael Felten: Hier ist es wichtig zu unterscheiden zwischen schlechtem Frontalunterricht – auch den gibt es, aber zum Glück ist er nicht die Regel –, bei dem der Lehrer die ganze Stunde nur vorführt und auf die Schüler einredet, und der gut gemachten direkten Instruktion, die eine der effizientesten Unterrichtsmethoden ist. Ich plädiere dafür, den Unterricht in vier abwechslungsreiche Phasen zu gliedern: Zunächst zeigt und erklärt der Lehrer einen neuen Sachverhalt, dann arbeiten die Schüler individuell an leichten Aufgaben. In der sich anschließenden gemeinsamen Diskussion darüber vernetzen sich die Erfahrungen der Schüler mit ergänzenden Erklärungen der Lehrkraft. Und schließlich wird der Stoff in anspruchsvolleren Aufgaben vertieft und trainiert, individuell oder in Gruppenarbeit. Was bislang als Gegensatz gesehen wurde, gehört in Wirklichkeit zusammen: Lernwirksamer Unterricht muss lehrergesteuert und zugleich schülerorientiert sein.

Die „Selbstlerneuphorie“ mancher Lehrer gehe zulasten der schwächeren Schüler, sagen Sie, und es komme vor allem auf die richtige – nicht zu hohe – Dosierung an. Sie selbst bauen eigenverantwortliche Lernphasen in Ihren Unterricht ein. Wie definieren Sie das richtige Maß?

Michael Felten: Zunächst einmal: Schon Hausaufgaben sind eigenverantwortliche Lernphasen, oder individuelle Trainingsphasen vor einer Klassenarbeit. Individualisierung, das heißt aber auch, die für jeden Schüler passende Art der Ansprache zu finden. Mal robuster, mal vorsichtiger, mal mit Kommandos, mal mit Anregungen. Es geht mir um das individuelle Fördern und Unterstützen, aber nicht nur durch Binnendifferenzierung mit verschiedenen Methoden, sondern auch mit unterschiedlicher Ansprache. 


Schüler kommen in Ihrem Buch nicht immer gut weg. Viele kommen „unreif“ in die Schule, manche müssen aus dem „Dämmern“ und „Nur-Ausführen“ erst geweckt werden und beschäftigen sich lieber mit „simsen, stylen, shoppen“. Warum trauen Sie Ihren Schülern nicht mehr zu?

Michael Felten: Der Eindruck täuscht, tatsächlich habe ich ein ziemlich positives Schülerbild. Anders als viele Kollegen bin ich überzeugt, dass es keine Kinder und Jugendlichen gibt, die „null Bock“ auf Lernen und Schule haben. Aber ich bin realistisch. Oft ist Lernbereitschaft durch Erfahrungen im Elternhaus „verschüttet“. Und auch die außerschulischen Einflüsse muss man nüchtern sehen: Manchmal sind Simsen oder Shoppen eben zunächst attraktiver, als sich durch das Nadelöhr der binomischen Formeln zu quälen. Die Hoffnung, dass die Sache, das Thema allein die Lernbegeisterung der Schüler entfacht, ist zu idealistisch. Man muss den Stoff auch durch die Lehrer-Schüler-Beziehung interessant machen. Wenn man sich als Lehrer auf das Präsentieren von Arbeitsblättern und das Kontrollieren beschränkt, dann gibt man mindestens die Hälfte seiner Motivationswerkzeuge aus der Hand.

Ob sie wollen oder nicht, Lehrer seien immer Führungspersonen. Davon sind Sie überzeugt und nutzen dafür den Vergleich mit dem Leitwolf in einem Wolfsrudel. Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit?

Michael Felten: Nein, der Zeitgeist ging eine Zeit lang in die Richtung, dem Lehrer nur eine „dezent begleitende“ Rolle zuzuweisen. Kollegen fühlen sich manchmal geradezu genötigt, sich sehr zurückzuhalten. Sie merken aber, das ist den Schülern zu wenig, die wollen mehr. Eine Oberstufenschülerin hat mich einmal gefragt, warum Referendare eigentlich Geld dafür bekommen, nur einen Stapel Arbeitsblätter in die Klasse zu tragen und wieder mitzunehmen. Das ist natürlich zugespitzt. Aber ein lebendiges Wechselspiel von Lehrer und Schülern, ein am Dialog orientierter Lernprozess ist attraktiv und effektiv zugleich. Wenn Lehrer aktiv ihre Begeisterung für das Fach vermitteln, Dinge erklären, aber den Schülern auch den Raum für eigene Erprobungen lassen, ist es das Beste. Dafür spricht alle Forschung, dafür spricht meine Erfahrung, dafür plädiere ich in meinem Buch.

Grundlagen

Felten baut sein Buch – neben vielen persönlichen Erfahrungen – auf die Forschung von John Hattie auf. Der neuseeländische Bildungsforscher hat zahlreiche Studien ausgewertet, welche Faktoren am stärksten zum Lernerfolg der Schüler beitragen. Der Einfluss der Lehrer ist demnach hoch. Bei den Unterrichtsmethoden kristallisiert sich kein Königsweg heraus, vielmehr ist es eine Vielfalt von Methoden, die wirksames Lernen ermöglichen. Andere Forscher, auf die Felten zurückgreift, nennen folgende Charakteristika eines lernwirksamen Unterrichtens:

  • lehrergeleiteter Unterricht
  • hochgradige kognitive Aktivierung der Schüler
  • ein lernförderliches Unterrichtsklima
  • vielfältiges Feedback

Der Lehrer als Bastler

Eine erfolgreiche Unterrichtseinheit ist eine gut geplante und geschickt zusammengestellte Folge von Erklärungen, Anregungen, Forderungen, Fragen und Austausch. Auch sehr gute Arbeitsblätter und Lerntheken können die souverän führende Lehrerpersönlichkeit hierbei nicht ersetzen.

Für Felten ist eine klassische Sequenz hierfür sehr gut als Gerüst geeignet:

  1. einen Sachverhalt gemeinsam erschließen
  2. ihn individuell erproben lassen
  3. sich darüber austauschen und vernetzen
  4. das Angelernte dann vielfältig trainieren und festigen


Es wird behutsam individualisiert, ohne das Risiko, dass die Schüler sich isoliert fühlen, nur oberflächlich arbeiten oder unnötigen Konkurrenzdruck spüren.

Felten empfiehlt darüber hinaus, die Schüler nach längeren Lerneinheiten zu Beginn einer neuen Stunde abzuholen, indem sie anfangs ein paar kleine Fragen zu dem bisher gelernten beantworten und besprechen. Schüler schätzten es zudem sehr, zu Beginn kurz den „Fahrplan“ für den Unterricht zu erfahren und zu wissen, worum es in der Stunde gehen wird.

Der Lehrer als Beziehungsgestalter

„Die stärkste Motivationsdroge für junge Menschen ist der andere Mensch!“, so der Freiburger Joachim Bauer, den Felten in seinem Buch zustimmend zitiert. Im Kern sei Unterricht immer eine personale Begegnung, deren Qualität der Schüler intuitiv wahrnehme. Sie zeige sich unter anderem darin, dass der Lehrer sich für seine Schüler interessiert, ihre Beiträge aufgreift, ihre Stärken und Schwächen kennt und auch für persönliche Probleme ansprechbar ist.

Felten mag das Bild – und die in ihm ausgedrückte Wertschätzung für Pädagogen –, das Finnen von ihren Lehrern haben, wenn sie von ihnen als „Kerzen des Volkes“ sprechen, die Lernwege beleuchten und dabei wärmen.

Zu einer guten Lehrer-Schüler-Beziehung gehöre es auch, schwierige Schüler wirklich verstehen und ihren Problemen sorgsam auf den Grund gehen zu wollen, statt sie mit formalen Beratungsmustern abzuspeisen. Generell sollten Empathie und Ermutigung den Umgang mit den Schülern prägen.

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Der Lehrer als Brückenbauer

Lernen sei für die meisten Schüler alles andere als ein Kinderspiel, sagt Felten. Dementsprechend brauchten sie die Unterstützung und Förderung durch den Lehrer. Zwar gebe es derzeit eine wahre Inflation von Förderbegriffen, eine Art Förderhype, merkt er kritisch an. Aber nicht alles davon führe wirklich zum Erfolg.

Die Palette der Unterstützung ist groß: Zutrauen, Ermutigung, Wertschätzung und ein Klima für Fehlerfreundlichkeit gehören dazu.

Der Lehrer als Bändiger

„Ob sie wollen oder nicht, Lehrer sind Führungspersonen“, konstatiert Felten. Der Stellenwert des pädagogischen Führens sei heutzutage sogar noch gestiegen, weil viele Kinder „unreif“ in die Schule kämen. Lernen kann man das pädagogische Führen nicht wirklich während des Studiums, dafür braucht es Praxis und insbesondere „eine Haltung, eine Leitlinie des Lehrers“, wie Felten schreibt. 

Gute Unterrichtsstrukturen, klare Ansagen, eine sinnvolle pädagogische Steuerung und unaufgeregte Konsequenz, das gehört für Felten zu einem guten Führungsverhalten dazu. „Herzliche Strenge“, das fasst es für ihn ganz gut zusammen.

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