Achtsamkeit & Gesundheit / 22.06.2018

Wenn Lehrkräfte an ihrer Eignung zweifeln

Ist dieser Beruf der richtige für mich? Die Frage stellen sich nicht nur Berufseinsteiger/-innen

Die Klassenfahrt organisieren, den Elternabend vorbereiten, Arbeiten korrigieren. Streitereien schlichten, eine Mobbing-Situation auflösen, ein Elterngespräch führen. Den Projekttag planen, einem geflüchteten Jungen mit den Vokabeln helfen, den Unterricht vorbereiten. Unterricht! Ach ja, da war ja noch etwas. Im Zuge veränderter und immer weiter wachsender Anforderungen an Lehrkräfte stellen diese sich heutzutage nicht selten die Frage, ob der Beruf überhaupt (noch) der richtige für sie ist. Insbesondere Berufseinsteiger/-innen sind unsicher, ob sie den vielen Aufgaben gewachsen sind.

Lehrerin am Pult mit Kopf auf dem Tisch
Bild: Shutterstock.com/Andrey_Popov

Ein Beruf, viele verschiedene Rollen

Wenn Pädagoginnen und Pädagogen daran zweifeln, den Ansprüchen an eine gute Lehrkraft genügen zu können, führt das oft zu einer tiefen Krise. Nach dem Staatsexamen bis zum Ruhestand im Schuldienst zu sein, das mag zwar für manchen eine beruhigende Vorstellung sein, doch die Realität verlangt nach mehr Flexibilität. Denn spätestens wenn Unzufriedenheit, Frust und Zweifel zum ständigen Begleiter werden, sind Alternativen gefragt.

"Nur noch" Lehrer/-in zu sein und sich auf den eigenen Unterricht zu konzentrieren, das reicht einfach nicht mehr. Das Interesse an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, an der Vermittlung von Wissen und Kompetenzen und an der Ausübung einer sinnvollen Tätigkeit ist zwar ein wichtiger Aspekt, doch im Schulalltag gilt es viele verschiedene Rollen einzunehmen und zu beherrschen: als Pädagoge, als Vorbild, als Mediator, als Mensch. Selbst wer noch so reflektiert und vorbereitet mit diesem Umstand umgeht, kann irgendwann feststellen, dass ihm Freude und Motivation abhandengekommen sind oder dass ihm die herausfordernde Rollenvielfalt einfach nicht guttut.

Einsteiger erleben den „Praxisschock“

Von dieser beruflichen und persönlichen Sinnkrise sind zu einem großen Teil Lehrkräfte betroffen, die sich noch in der Berufseinstiegsphase befinden: Voller Motivation und mit teils übertrieben hohen Ansprüchen an sich selbst ins Arbeitsleben gestartet, verlieren sie im turbulenten Schulalltag die Orientierung, mitunter fühlen sie sich heillos überfordert. "Wie soll ich das alles schaffen?", "Den Kollegen gelingt das viel besser als mir" oder "Ich fühle mich den Schülerinnen und Schülern gegenüber schwach und hilflos" sind dann typische Gedanken und Gefühle, die eine tiefe Verunsicherung offenbaren.

Gedanken an einen Abschied vom Lehrerdasein werden mehrheitlich im Übergang in den Berufseinstieg gehegt, schreiben auch Birgit Nieskens und Albina Lobell im Ratgeber "Persönliche Krisen im Lehrerberuf: erkennen, überwinden, vorbeugen" und verweisen auf eine Studie an Schweizer Primarlehrkräften, nach der 80 Prozent der Ausstiege in den ersten zehn Berufsjahren erfolgten. "Ich hatte so lange dafür gekämpft, Lehrerin zu werden, jetzt war ich mir nicht mehr sicher, ob es der richtige Beruf war", beschreibt eine junge Realschullehrerin in dem Buch ihren Konflikt, der bei ihr auch körperliche Warnsignale wie ständige Migräne mit sich brachte und sich darin äußerte, dass sie immer widerwilliger zur Schule ging.

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Zweifel erkennen und ernst nehmen

Die Frage nach der beruflichen Eignung ist angesichts eines gesellschaftlichen und damit auch schulischen Wandels legitim und sollte ernst genommen werden – und zwar zu jedem Zeitpunkt der beruflichen Laufbahn. Es ist ganz natürlich und bis zu einem gewissen Grad sogar gesund und hilfreich, sie sich immer mal wieder zu stellen und die eigene Motivation, die Ressourcen und beruflichen Ziele zu überprüfen. Wenn aber die Gesundheit unter den andauernden negativen Gedanken und Gefühlen leidet, dann wirkt sich das auch auf die berufliche Leistungsfähigkeit aus und ein Teufelskreis entsteht. Stress, Frust und Selbstzweifel führen schlimmstenfalls zu einem inneren und äußeren Rückzug. Dann gilt es, sich unrealistische Anforderungen vor Augen zu führen, um zu unterscheiden, welche Stressaspekte von außen kommen und was vielleicht eher mit der eigenen (perfektionistischen) Haltung zu tun hat. Denn dort liegen auch die jeweiligen Lösungsansätze.

Beispiele für überzogene externe Anforderungen und damit zusammenhängende fehlende Ressourcen:

  • zu viele Aufgaben, gerade für Berufseinsteiger; unklare Zuständigkeiten; keine Vertretungskonzepte; kaum Teamarbeit; fehlende kollegiale Begleitung

Beispiele für überzogene interne Anforderungen und damit zusammenhängende fehlende Ressourcen:   

  • zu viele Aufgaben, gerade für Berufseinsteiger; unklare Zuständigkeiten; keine Vertretungskonzepte; kaum Teamarbeit; fehlende kollegiale Begleitung
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Wertvolles Feedback von Kollegen

Nur wenn eine pauschal wahrgenommene Unzufriedenheit und Überforderung durch konkret zu benennende Schwierigkeiten ersetzt wird, können entsprechende Lösungen gefunden werden. Mehr Rückzugsräume in der Schule, eine verbesserte Organisationsstruktur oder Stressmanagement für Lehrkräfte können hilfreiche Schritte sein. Solche Maßnahmen hängen aber immer von einer aufmerksamen, kritikfähigen Schulleitung ab, die Handlungsbedarf erkennt, Probleme angeht und sich für eine Kultur des Miteinanders und der Wertschätzung an der Schule stark macht. 

Wenn also innerhalb des Kollegiums offen über Missstände und individuelle Probleme gesprochen werden kann und ein konstruktiver Austausch herrscht, der über Lehrpläne und Unterrichtsinhalte hinausgeht, ist das Gold wert. Erfahrene Kollegen können dann beispielsweise jüngeren Lehrkräften wertvolle Rückmeldung geben, ihnen dadurch den Umgang mit der schwierigen Situation erleichtern und sie bestärken, am Lehrerberuf festzuhalten. Oder ihnen Mut machen, einen neuen, für sie passenderen Weg einzuschlagen.

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Mut zum Neustart

Wenn Lehrer die Entscheidung treffen, den Beruf zu wechseln, muss eine detaillierte Bestandsaufnahme her, um den Weg in eine neue Richtung zu ebnen. Wer genau weiß, an welchen Stellen es im Schulalltag hakte, und seine besonderen Stärken und Kompetenzen kennt, kann diese Erkenntnisse für eine gelungene Neuorientierung nutzen. Neben einer schulnahen Tätigkeit in der Bildungsbranche kommt vielleicht auch ein weiteres Studium infrage. Ein Sabbatjahr kann ein guter Zwischenschritt für alle sein, denen noch Klarheit und vor allem ein wenig Abstand fehlen. Wie in jeder Umbruchphase spielt der Austausch mit anderen eine wichtige Rolle: Sich mit Kollegen, Familie und Freunden zu besprechen, Beratungsangebote anzunehmen oder positive Erfahrungsberichte von anderen "Umsteigern" zu hören, kann Kraft und Zuversicht geben.

5 Tipps für mehr Zufriedenheit im Schulalltag

1. Stärken erkennen

Was können Sie gut? Haben Sie sich in letzter Zeit überlegt, worin Ihre Stärken bestehen? Jede Lehrperson braucht das Wissen um ihre Stärken. Im Kontakt zu den Schülern punkten wir nicht mit standardisierter Leistung, sondern mit unseren persönlichen Stärken. Nutzen Sie als erste Informationsquelle Ihre Schüler. Fragen Sie sie, was sie an Ihnen am meisten schätzen. Für eine tiefer gehende Betrachtung Ihrer Stärken benötigen Sie Kollegen, die Sie in Ihrem Auftrag beim Unterrichten beobachten.

2. Aufgesetzte Ziele abstreifen

Wenn zwei ihrer Ideale bzw. Ziele miteinander in Konflikt geraten – wie z. B. die Selbstständigkeit der Schüler fördern und im Unterricht Ruhe herstellen –, dann lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Welches Ziel bringt Ihnen Freude? Welches Ziel bringt ausschließlich Anstrengung mit sich? Nur die Ziele, die Sie wirklich erfüllen, rechtfertigen besondere Anstrengungen. Alle Kraft, die Sie für "aufgesetzte" Ziele verwenden, laugt Sie auf lange Sicht aus.

3. Defizite akzeptieren

Defizite sind okay – sind sie das wirklich? Bei uns Lehrern, die wir ständig begutachtet werden? Stoppen wir das Gejammer und sehen wir der Realität ins Auge: Defizite sind okay, weil die Kinder und Jugendlichen von Erwachsenen lernen sollen, wie man mit Schwächen umgeht. Das können sie aber nur von Erwachsenen, die über ihre Anstrengungen, Fehlschläge und ihr Unvermögen sprechen. Zusätzlich müssen die Schüler lernen, dass sie nicht mit jeder Lehrperson über jedes Thema reden können. Sich auf die richtige Distanz einstellen zu können, ist eine wichtige soziale Kompetenz. Defizite sind zudem okay, weil Ihre Stärken viel wichtiger sind.

4. Unterstützung genießen

Von einem kooperativen Umfeld sollten wir nicht träumen, sondern es konkret schaffen: Das beginnt bei der Zurverfügungstellung eigener Unterlagen oder dem Aufbau einer Lehrmittelsammlung. Substanzieller ist die Bereitschaft, im Falle des Falles Arbeitslasten von anderen zu übernehmen. Je konsequenter Sie Ihre Kollegen unterstützen, desto eher werden Sie auf Unterstützung zählen können.

5. Fünf Gebote der Zufriedenheit

Zufriedenheit bestimmt den individuellen Gesundheitszustand entscheidend mit. Zufriedene Menschen haben leichter Erfolg. Aber wie ankämpfen gegen die Unzufriedenheit mit sich, dem Unterricht, der Schulverwaltung usw.? Unabhängig von seinem Unterrichtsstil und seinen Zielen macht einen guten Lehrer aus, dass er seine Arbeit nach diesen Leitsätzen weiterentwickelt:

  • Bilde dich, wo du es brauchst.
  • Meide Situationen, in denen du schlecht abschneidest.
  • Mache im Unterricht, was dich interessiert.
  • Mache besonders oft, was du gut kannst.
  • Überlege dir, was du wirklich bewegen willst und musst.
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Fortbildungstipp

Selbst- und Zeitmanagement für Lehrkräfte
Im Alltag übernimmt jede Lehrerin, jeder Lehrer unterschiedliche Aufgaben – oft engagiert und voller Energie. Manchmal allerdings wächst einem alles über den Kopf. Dann verursachen die beruflichen Vorhaben und Vorgaben Stress und die persönlichen Wünsche stehen hinten an. 
Wie Sie mit Aufgabenfülle und Zeitdruck professionell umgehen, erfahren Sie in dieser Fortbildung.
 

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