Besser lesen lernen
Wie sich die Lesekompetenz von Grundschulkindern entscheidend verbessern lässt
Schülerinnen und Schüler in Deutschland können am Ende ihrer Grundschulzeit immer schlechter lesen. Das belegt die aktuelle Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU), die im Mai veröffentlicht wurde. Demnach erreicht rund ein Viertel der Viertklässler keine ausreichende Lesekompetenz nach internationalem Standard. Für sie sind große Schwierigkeiten im weiteren Verlauf ihrer Schulzeit vorprogrammiert. Ein erschreckendes Ergebnis. Was ist zu tun?

An Aktivitäten zur Leseförderung fehlt es nicht. Viele Initiativen, Stiftungen, landes- oder bundesweite Programme haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern zu fördern. Möglicherweise aber mangelt es noch an der flächendeckenden und dauerhaften Umsetzung. Die soll jetzt von der Bund-Länder-Initiative „BiSS-Transfer“ beschleunigt werden.
BISS und das Leseband
In der Vorgänger-Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift (BISS)“ hatten von 2013 bis 2019 mehr als 600 Schulen und Kitas Konzepte zur Sprachbildung erprobt und weiterentwickelt. Das im Anschluss gestartete Transferprogramm soll dafür sorgen, dass die Sprach- und Leseförderung in den Bundesländern implementiert wird.
Wie eine solche Förderung gelingen kann, zeigt Hamburg. Denn im IGLU- Ländervergleich hat sich die Stadt beim Lesen vom drittletzten Platz 2011 auf den drittbesten Platz 2021 verbessert. Ein entscheidender Grund dafür: die systematische Leseförderung, die Hamburg im Rahmen der Initiative „BiSS-Transfer“ mittlerweile an 80 Grundschulen umsetzt. Das sogenannte „Hamburger Leseband“ ist ebenso einfach wie erfolgreich: Voraussetzung ist eine verbindliche, tägliche Lesezeit von 20 Minuten in allen Grundschulklassen, in der Lesemethoden wie Tandemlesen, Chorisches Lesen, Würfellesen oder Hörbuchlesen eingesetzt werden. Das Leseband hat einen eigenen Pausengong und wird wie ein eigenständiges Unterrichtsfach betrachtet.
„Wir haben die Kinder beobachtet, die eine zusätzliche Leseförderung durch das Leseband bekommen haben, und mit Kindern einer Kontrollgruppe in ähnlicher Ausgangslage, die aber nicht gefördert wurden, verglichen. Dabei konnten wir eine signifikante Steigerung der Lesekompetenz bei den geförderten Kindern feststellen“, erläuterte der Wissenschaftliche Leiter des Projekts, Prof. Dr. Steffen Gailberger von der Universität Wuppertal in einem Interview mit dem Schulportal.
Übrigens: Auch die Wissenschaftlerinnen der IGLU-Studie empfehlen, die Lesezeiten in den Grundschulen zu erhöhen. Denn Deutschland liegt mit 141 Minuten, die pro Woche für Leseaktivitäten aufgebracht werden, deutlich hinter dem internationalen Durchschnitt von rund 200 Minuten.
Mittlerweile wird das Leseband an etlichen anderen Grundschulen in Deutschland eingesetzt. Einen detaillierten Überblick über die Leseband-Projekte bietet das Portal BISS-Transfer. Hier können sich interessierte Schulen und Schulnetzwerke auch über Teilnahmemöglichkeiten informieren.
Doch was tun, solange die eigene Schule nicht oder noch nicht an einem solchen Projekt teilnimmt? Vielleicht hilft eine andere Initiative oder Idee weiter, wie zum Beispiel der Nationale Lesepakt, Schul- und Klassenbibliotheken, Lesepaten und Lesehunde.
Nationaler Lesepakt
Zusammen mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat die Stiftung Lesen im März 2021 den „Nationalen Lesepakt“ initiiert. Der Lesepakt, dem 180 Partner angehören, versammelt Projekte, die Kinder und Jugendliche fürs Lesen begeistern wollen. Dazu gehört unter anderem auch die digitale Lernplattform Leseo des Cornelsen Verlags, die eine Online-Bibliothek mit mehr als 190 Erzähltexten, Sachtexten und Märchen auf fünf Lesestufen bietet. Hier gibt es für die Schülerinnen und Schüler verschiedene Aufgabenformate, die in der Schule oder zu Hause bearbeitet werden können. Dank des Diagnosetools haben die Lehrkräfte jederzeit die individuelle Lernentwicklung jedes Kindes im Blick. Alle Projekte des Nationalen Lesepakts können auf dem gleichnamigen Portal abgerufen werden.
Lesepaten
Lesepaten unterstützen Kinder beim Lesenlernen. Sie lesen in der Regel mindestens einmal pro Woche gemeinsam mit ihren „Patenkindern“ – meist in der Schule, aber außerhalb der regulären Schulzeit oder aber in Bibliotheken. Lesepaten werden von verschiedenen Organisationen vermittelt. Eine davon ist der Verein Mentor mit gegenwärtig mehr als 13.000 ehrenamtlichen Lesepatinnen und -paten. Auch die Stiftung Lesen ist engagiert – unter anderem mit ausführlichen Ratschlägen für interessierte Lesepatinnen und Lesepaten und mit einer detaillierten Auflistung von Vorlese-Initiativen in ganz Deutschland. Hier können sich Schulen über Projekte in ihrer Nähe informieren. In Berlin etwa gehen jede Woche über 2.000 Lesepatinnen und Lesepaten in Berliner Schulen und Kitas und in Frankfurt arbeiten etwa 400 Lesepatinnen und Lesepaten an 65 Grund- und Förderschulen.
Schulbibliotheken
Schulbibliotheken können enorm zur Leseförderung beitragen. Sie sollten Orte sein, an denen Schülerinnen und Schüler sich gern aufhalten und an denen auch Unterricht stattfinden kann. Leider fristen aber viele Schulbibliotheken ein Schattendasein. Denn sie kosten Geld und brauchen eine fachliche Betreuung – angesichts des Personalmangels an Schulen geraten sie also schnell ins Abseits. Wie man eine Schulbibliothek aufbauen, organisieren und am Leben halten kann, erklärt das Fachportal Schulmediothek des Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) und des Deutschen Bibliotheksverbands. Es präsentiert auch Best-Practice-Beispiele zur Förderung von Lese-, Medien- und Informationskompetenz sowie zur Zusammenarbeit von Schule und Bibliothek.
Nicht nur Schulbibliotheken, auch Klassenbibliotheken können sehr hilfreich sein. Die Vorteile: Eine Klassenbibliothek ist einfacher zu organisieren, die Bücher können gezielt auf die jeweilige Klassenstufe ausgesucht werden und ohne großen Aufwand in den Unterricht einbezogen werden. Bestückt werden kann die Bibliothek durch Elternspenden, Spenden des örtlichen Buchhandels oder Einkäufe auf Flohmärkten.
Lesehunde
Und schließlich gibt es noch sogenannte Lesehunde, die allein durch ihre Anwesenheit die Kinder beim Lesenlernen unterstützen. Hunde kritisieren oder korrigieren nicht, sie unterbrechen nicht und reagieren nicht auf Fehler. Das alles führt dazu, dass die Kinder selbstbewusster und selbstsicherer lesen. Die Methode ist recht einfach: Während die Kinder vorlesen, liegen die Hunde ruhig und entspannt in ihrer Nähe. Meist treffen sich Kind und Hund einmal pro Woche für eine Vorleseeinheit von mindestens 15 Minuten. Leider gibt es gegenwärtig keine Website, die alle Lesehunde auflistet. Bekannt sind das Lesehund-Projekt in München, das bereits bundesweit Nachahmer gefunden hat, und die Kölner Lesehunde, die an verschiedenen Stadtteilbibliotheken eingesetzt werden. Über diese Projekte oder eine eigene Recherche können Lesehunde in der Nähe gefunden werden.