{First Steps} Selbsteinschätzung
Eine Kompetenz für nachhaltiges Lernen
Die Selbsteinschätzung des eigenen Lernprozesses ist eine Kompetenz, die frühzeitig angebahnt werden sollte. Hier erfahren Sie mehr darüber, wie man diese Fähigkeit im Unterricht entwickelt und wie das RRR-Modell dabei unterstützen kann. Kopiervorlagen zu den einzelnen Reflexionsbereichen zeigen, wie Selbsteinschätzung im Alltagsunterricht funktioniert.
Kinder lernen, ihre Englischkompetenz selbst einzuschätzen
Einige Schülerinnen und Schüler sitzen über einem Bogen mit Can-Do Descriptors und kreuzen an, welche davon sie wie gut beherrschen. Andere überlegen unterdessen, was ihnen am Unterricht gefallen hat und was nicht. Sie wissen, dass ihre Lehrerin sie danach fragen wird. Solche Szenarien sind Beispiele dafür, dass den Lernenden an der Grundschule nicht nur Englisch vermittelt wird. Es geht auch darum, überfachliche Fähigkeiten aufzubauen und weiterzuentwickeln. Diese Kompetenzen sind nicht nur im Englischunterricht nützlich, sie befähigen die Schülerinnen und Schüler vielmehr dazu, ihr Lernen unabhängig von einem bestimmten Stoffgebiet zu organisieren sowie Wissenslücken zu identifizieren und zu schließen.
Gut vorbereitet auf die Sekundarstufe sind Grundschülerinnen und -schüler, die einen Teil ihres Lernens schon selbst in die Hand nehmen können. Sie wissen z. B., was sie tun müssen, um einen Text besser zu verstehen. Oder sie haben einen Plan, wie sie sich auf einen Englischtest vorbereiten. Solche Strategien selbstgesteuerten Lernens entwickeln sich nicht von heute auf morgen. Deshalb ist der Englischunterricht in der Grundschule genau der richtige Ort für die ersten Schritte. Selbstgesteuertes Lernen ist keine Frage des Alters. Es ist davon abhängig, ob entsprechende Kompetenzen vorhanden sind. Zentral ist dabei die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung – und diese Fähigkeit kann man trainieren.
Die drei R der Selbsteinschätzung
Ein Übungsprogramm zur Selbsteinschätzung möchte dreierlei Ziele erreichen. Als Erstes gilt es, bei Kindern ein Bewusstsein dafür anzubahnen, wie viel sie schon auf Englisch verstehen und mitteilen können. Zweitens sollen Kinder lernen, selbst zu erkennen, wo sie sich noch verbessern können. Zu den Kompetenzen gehört drittens noch das „Wie“ – eine Idee oder Strategie also, mit der die Kinder ihr individuell gesetztes Lernziel auch erreichen. Das RRR-Modell hilft dabei, das Training in kleinen und großen Lerngruppen zu strukturieren. Die drei R stehen für die englischen Begriffe recognize, reflect und react. Jedes Wort beschreibt eine kognitive Tätigkeit, die bei der Selbsteinschätzung benötigt wird. Die drei R sind daher integraler Bestandteil des Übungsprogramms Self-assessment.
Recognize
Bevor Kinder handeln können, müssen sie erst einmal einen Lernzustand identifizieren und sprachliche Hürden als solche wahrnehmen. Dies gelingt mit Kenntnissen über sprachliche Mittel und kommunikative Fähigkeiten. Viele Aktivitäten im Englischunterricht unterstützen die Kinder dabei, Fähigkeiten des Erkennens zu entwickeln. Grundlage dafür ist ihr Vorwissen. Nach dem Hören oder Lesen eines Textes bearbeiten sie z. B. Statements und kreuzen an, ob sie eine Aussage für richtig oder falsch halten. In Ordnungsübungen können sie ausprobieren, welche Vokabeln zu einem Wortfeld passen oder welche Satzteile zusammengehören. Manchmal markieren sie schon Textstellen, in denen sie Fehler vermuten. Beim positiven Korrigieren hat die Lehrkraft nur schwere Normabweichungen oder Auslassungen auf dem Arbeitsblatt markiert. Konkrete Verbesserungen und Ergänzungen nehmen die Kinder selbst vor. Damit die eigenen Einschätzungen überprüfbar sind, liegen Lösungsblätter bereit, die von allen genutzt werden dürfen. Jede dieser Aktivitäten sensibilisiert für bewusstes Lernen durch Erkennen. Die Kinder werden damit auf das Nachdenken über den eigenen Lernprozess, die sogenannte Meta-Kognition, vorbereitet.
Reflect
An der Grundschule herrscht das Primat der Mündlichkeit. Selbst und eigenständig schreiben die Kinder im Englischunterricht zu selten, um damit Reflexionsprozesse in Gang zu setzen. Deshalb benötigen sie konkrete Reflexionsimpulse. Der Veranschaulichung des Verfahrens dienen spielerische Arrangements, bei denen die Schülerinnen und Schüler in der Klassengemeinschaft das Einschätzen von Can-Do Descriptors trainieren. Diese beschreiben einzelne Sprachfunktionen oder Teilkompetenzen – kurzum Lernergebnisse:
Bei Four corners befindet sich in jeder Ecke des Klassenzimmers eine Sprechblase mit einer einschätzenden Aussage: Kann ich sehr gut / Kann ich gut / Kann ich recht gut / Muss ich noch üben. Hat die Lehrkraft einen Can-Do Descriptor vorgelesen (z. B. „Ich kann fünf Zootiere auf Englisch benennen“), platzieren sich die Kinder in der Ecke (Statement corner), die ihrer eigenen Einschätzung am nächsten kommt.
Für Traffic light benötigen die Kinder Blätter in den Ampelfarben. Damit zeigen sie an, wie sie ihre Ausführung des vorgetragenen Can-Do Descriptor einschätzen. Mitteilungen über Selbsteinschätzungen funktionieren auch über Bewegungen: Who can say five colour words? Stand up / Jump / Turn around / Touch the green dot / …, please.
Eine Assessment line ist eine Gerade an der Tafel mit einem traurigen Gesicht links (rot), einem neutralen in der Mitte (gelb) und einem fröhlichen Gesicht rechts (grün). Diesmal platzieren sich die Kinder nach der Präsentation eines Can-Do Descriptors entlang dieser Linie, um ihre Selbsteinschätzung kundzutun. Die Aktivität eignet sich auch dafür, Einschätzungen zur Unterrichtstunde selbst einzuholen, z. B. I like the game / the task / the group work / the worksheet / the story / …
Für das individuelle Nachdenken bekommen die Kinder Reflexionsbögen in die Hand. Es gibt sie in zwei Ausfertigungen. Typ 1 (KV 1) listet Descriptors mit einer Antwortskala zum Ankreuzen (in KV 1 durch Ausmalen) zu einer Lernsequenz auf. Haben die Kinder jeweils eine Einschätzungsstufe ihrer Wahl markiert, ist eine kognitive Operation abgeschlossen –eine recht komplexe sogar, denn die Schülerinnen und Schüler haben den Descriptor mit ihrem Vorwissen verglichen und eingeordnet. Dabei haben sie überlegt, wie sie mit dem Beschriebenen auf Englisch zurechtkommen. Sie haben zunächst nachgedacht und dann erst ihre Einschätzung auf dem Bogen markiert. Auch Typ 2 stößt eine kognitive Aktivierung an. Das zugehörige Arbeitsblatt (KV 2) enthält gemischte Aufgaben zu Lerninhalten vorausgegangener Arrangements. Die Kinder lösen die Tasks und schätzen anhand von Punkten ihre Leistung ein.
React
Auf die Reflexion folgt die Reaktion – schließlich soll das Nachdenken etwas bewirken und fit machen für weitere Lernanforderungen. Ein geeigneter Rahmen dafür ist das Lerngespräch, das zwischen Lehrkraft und einzelnen Schülerinnen und Schülern stattfindet. Diese nehmen zu den Ergebnissen ihrer Selbsteinschätzungen in KV 1 und KV 2 Stellung. Sie können offen gebliebene Fragen klären und mitteilen, wo sie auf Schwierigkeiten gestoßen sind. Auf diesen Informationen baut der individuelle Lehrplan auf, den Lernende und Lehrkraft am Ende des Lerngesprächs vereinbaren.
Mittelfristige Einschätzungen funktionieren recht gut mithilfe eines Portfolios, in dem mehrere Bögen (KV 1 und KV 2) zu einem Lernabschnitt abgeheftet sind. So ist es den Schülerinnen und Schülern möglich, ihre Lernfortschritte kritisch zu verfolgen und aktiv zu festigen. Die Strategieliste (KV 3) dient dazu, im Think-Pair-Share-Verfahren zunächst individuell, dann mit einer Partnerin oder einem Partner und schließlich in der Lerngruppe Optionen auszuloten. Durch KV 3 wird außerdem das Wortschatzlernen unterstützt – eine zentrale Lernleistung an der Grundschule.
Immer dabei und schnell bei der Hand für Lernphasen nach der Selbsteinschätzung ist das Lerntagebuch. Zu einigen Strategien aus KV 3 hat die Lehrkraft kleine Activity sheets vorbereitet. Die Aufgaben setzen die Empfehlungen der Liste aus KV 3 in Sprachhandlungen um (KV 4). Die Kinder legen sie in ihrem Learning log ab und können damit ihren Lernfortschritt immer einmal wieder überprüfen.
Fazit
Es gibt grundschulgemäße Wege, um bei Schülerinnen und Schülern ein Bewusstsein für Selbsteinschätzung anzubahnen. So wird ein Englischunterricht umgesetzt, der sich der Entwicklung strategischer Kompetenzen für nachhaltiges Lernen verpflichtet fühlt. Zudem leistet das gemeinschaftliche Reflexionstraining nach dem monatelangen Distanz- und Wechselunterricht einen wichtigen Beitrag zur kognitiven, sozialen und emotionalen Lernförderung in der Klassengemeinschaft.
Wolfgang Gehring ist Professor für Englische Fachdidaktik an der Universität Oldenburg.
Fortbildungstipp der Cornelsen Akademie
Diagnostizieren, fordern und fördern: Leichter beurteilen – gezielter fördern (SchiLf)
Sie entwickeln mit uns die tägliche Routine zu einem bewussten, methodisch kontrollierten und transparenten Prozess weiter, der mittelfristig zu Ihrer Entlastung und zu größerer beruflicher Zufriedenheit führt.