Referendariat / 25.04.2019

Ist das wirklich meine Klasse?

Teil 3: Die Lehrprobe

Unterrichtsbesuche bzw. Lehrproben bereiten den meisten Lehramtsanwärtern Kopfzerbrechen und schlaflose Nächte. Obwohl diese Vorzeigestunden wenig mit der Realität im normalen Schulalltag zu tun haben, sind es eben diese Stunden, in denen man den Kompetenzerwerb bei der Unterrichtsplanung, -durchführung und -analyse zeigt. Doch egal wie kritisch oder pingelig eure Fachseminarleiter sein mögen, das ehrlichste Feedback kriegt man eigentlich immer sofort von den Betroffenen mitgeteilt – nämlich von den Schülern selbst.

Illustration Lehrerin vor einer Tafel
Bild: Cornelsen / Claudia Medrow

Let’s get started

Herzklopfen. Schnappatmung. Zittrige Hände. Adrenalin pur. Und nein, ich beschreibe gerade nicht meinen ersten Fallschirmsprung oder Auftritt bei "The Voice of Germany". Das eine oder andere wäre für die meisten ein durchaus legitimer Grund zum Nervössein. Aber vor einer Klasse zu stehen und 45 Minuten nach Plan zu zeigen? Pff. Machen Lehrer doch jeden Tag – easy! Was ändert ein Unterrichtsbesuch daran? Doch der konzentrierte, kritische Blick von Frau Schneider, meiner Fachseminarleiterin, und Frau Hase, der Schulleiterin, hinten im Klassenzimmer lassen mich das Schönreden schnell beenden. Lou und Daniel knuffen sich gegenseitig in den Arm, "freundschaftlich" ist in dem Fall ein breitgefächerter Begriff. Ich weise die beiden darauf hin, schon mal ihre Sachen herauszuholen. Noch eine Minute, um den im Klassenzimmer verteilten Haufen zusammenzuraffen und etwas Ordnung reinzubringen. Matthias kommt zu mir und fragt, ob er noch schnell auf die Toilette könnte. Amira und Anna stolpern kichernd ins Klassenzimmer, irgendjemand hat auf einem Tisch Wasser verschüttet. Automatisch greife ich in meinen Rucksack (mit dem ich ziemlich sicher jegliche Naturkatastrophe überleben könnte, ich bin für jegliche Eventualitäten gerüstet) und drücke das Taschentuch im Vorbeigehen Rico in die Hand, während ich parallel fünf Schüler, die noch vor der Tür stehen, reinwinke und das Datum an der Tafel korrigiere. Noch dreißig Sekunden. Gerade als ich die Tür schließen will, rennt Matthias herein und jubelt (und innerlich juble ich mit ihm) – immerhin hat er es in unter einer Minute vom Klo zurückgeschafft. Gleich klingelt es zur Stunde. Ich stelle mich vor die Klasse und der bunte Haufen in der Mitte der Klasse löst sich langsam. Stühle scharren, Rucksackverschlüsse surren, letztes Gekicher verstummt. Irgendwo fällt eine Federtasche vom Tisch. Es klingelt. Bei mir denke ich, wie Pink zu meiner Schulzeit schon so schön ausgedrückt hat: "Let’s get the party started!"

Die Stunde beginnt

Es ist still. In der Ferne leise Stimmen aus den Tiefen des Schulgebäudes. Alle sitzen mit aufgerichtetem Rücken und schauen konzentriert nach vorne. Zum ersten Mal höre ich das Klicken der Uhr an der Wand. Mein Schlucken kommt mir unendlich laut vor. Fehlt nur noch die Hintergrundmusik à la "Spiel mir das Lied vom Tod". Etwas beirrt von dieser unheimlichen Stille, grüble ich innerlich über die Relativitätstheorie nach und wie wahrscheinlich es ist, dass ich in einer anderen Dimension gelandet bin. Aber sie sitzen alle da: Matthias, Lou, Daniel, Amira, Anna, Rico und 24 weitere Kinder. Ein Abbild von wissbegierigen Engeln, die sich nichts Schöneres vorstellen können, als gleich einen argumentativen Text auf Englisch zu verfassen. Wohin ist eigentlich meine hochpubertäre und hormongesteuerte Klasse verschwunden? Oder ist das die Ruhe vor dem Sturm? Ich stelle die Besucher dieses ominösen Schauspiels vor und beginne entsprechend der mir zugewiesenen Hauptrolle mit der Einleitung in die Schreibstunde.

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Ende gut, alles gut

Es klingelt. Der Sturm hat sich als milder Wind entpuppt. Beruhigt atme ich auf. Zum einen, weil die Lehrprobe zu Ende ist (bzw. der stressigere Part) – ohne Drama, Verletzte oder den Wunsch, im Erdboden zu versinken. Zum anderen, da ich nach 45 Minuten vorbildlichsten Verhaltens zu meiner großen Erleichterung wieder die etwas chaotische, aber sehr liebenswürdige Truppe wiedererkenne, die ich mit ihren Pubertätsschüben und -dramen inzwischen ins Herz geschlossen habe. Lou stupst Daniel mit dem Hefter an, woraufhin dieser etwas auf Lous Hefter kritzelt, die Mädelsgruppe rechts in der Ecke kichert über Amiras Ausführungen des Musikabends und Rico bemüht sich vergeblich Annas Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Meine Seminarleiterin wartet an der Tür und ich raffe meine Sachen zusammen, um die Stunde im Analysegespräch nochmal durchzugehen. Die Schulleiterin Frau Hase drängt sich an den Schülern vorbei, murmelt mir im Vorbeigehen "Das war doch alles gut" zu und eilt weiter zum nächsten Termin. Das ist doch schon mal kein schlechtes Zeichen.

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Marie Stark ist Mitte 20 und unterrichtet als Referendarin an einem Berliner Gymnasium die Fächer Englisch und Geschichte. Im Cornelsen Magazin berichtet sie regelmäßig über die bisher spannendste Phase ihres Lebens – das Referendariat. 
Alle in der Kolumne verwendeten Namen sind Pseudonyme zum Schutz der Personen. Ansonsten ist aber alles echt – Realität Schule.

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