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Erwachsenenbildung / 15.10.2025

Mündlichkeit im DaF-Unterricht: Warum Sprechen im KI-Zeitalter wichtiger ist denn je

Hermann Funk über KI, Lehrwerke und die Zukunft des mündlichen Lernens im Deutsch als Fremdsprache-Unterricht

Seit dem wachsenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Bildungsbereich wird heftig über die Entwicklung des Sprachenlernens diskutiert. Da wird etwa darüber spekuliert, ob der Fremdsprachenunterricht nicht komplett abgeschafft werden sollte, weil die KI ohnehin alle Übersetzungsaufgaben übernimmt. Andere Stimmen hingegen fordern, dass vor allem menschliche Interaktionen im Unterricht gestärkt werden müssen. Wie wird sich also der DaF-Unterricht entwickeln? Welche Auswirkungen hat KI auf die Lehrwerke? Und welche Rolle spielt die Mündlichkeit? Das haben wir Hermann Funk gefragt. Er war Professor für Didaktik und Methodik des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und hat an zahlreichen Lehrwerksreihen als Autor und Herausgeber mitgewirkt.

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Bild: Shutterstock.com/Monkey Business Images

Herr Funk, bevor wir zum Thema „DaF-Unterricht und KI“ kommen, eine ganz simple Frage: Wie lernt man eine Fremdsprache am besten?

Hermann Funk: Es gibt ein 200 Jahre altes Zitat von Immanuel Kant, das besagt, die modernen Fremdsprachen lernt man am besten durch den Gebrauch. Das kann man eigentlich genauso übernehmen, denn das ist das beste Übungsverfahren.
 

Das bedeutet also am besten vor Ort und im Alltag?

Hermann Funk: Nicht nur, das funktioniert auch im Unterricht. Auch im Unterricht kann man sinnvolle Dinge mit der neuen Sprache üben und Sprache so benutzen, wie man es außerhalb des Klassenzimmers tun würde.
 

Nun hat sich in den letzten Jahren auch im Fremdsprachenunterricht vieles durch die Digitalisierung geändert, etwa durch Apps oder Lernplattformen. Mittlerweile auch durch die KI. Ist der Unterricht, ist das Lernen besser geworden?

Hermann Funk: Es ist vor allem anders geworden. Das heißt, wir müssen diese Medien in den Unterricht integrieren. Wir haben als Lehrkräfte gar keine andere Wahl. Denn egal, ob die Lehrkräfte entscheiden, Apps oder KI zu nutzen oder nicht, die Lernenden tun es und insoweit müssen wir uns mit dieser Situation auseinandersetzen, die wir aber vor allem als Chance begreifen sollten.

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Und wie sieht diese Chance aus?

Hermann Funk: Tatsächlich ist es wenig zukunftsträchtig, wenn man die KI benutzt, um das, was immer schon schlecht gemacht wurde, nun mit neuen Mitteln fortzuführen. Wenn man also die falschen, das heißt vor allem geschlossene, Übungen zur falschen Zeit mit den falschen Lernzielen mit der KI generiert. Das macht die KI spielend. Insofern ist sie eine unzuverlässige Kollegin, denn sie macht das, was schon immer so gemacht wurde und wird nicht das tun, was individuell pädagogisch nötig oder gar innovativ ist. Schließlich befindet sich in den Daten der KI nur Übungsmaterial aus der Vergangenheit. Wir müssen also Antworten finden, wie wir die KI sinnvoll integrieren und gleichzeitig daran denken, dass wir als Lehrende und die Lernenden eine kritische Medienkompetenz entwickeln müssen. Die KI ist sehr fleißig und sehr produktiv an vielen Stellen, aber wir können ihr nicht immer trauen.
 

Wie sieht eine sinnvolle Nutzung konkret aus?

Hermann Funk: Ich nehme mal die Routinen, die vielleicht mühevoll und deshalb nicht so angenehm sind. Das sind Korrekturen und die Konzentration auf Korrektheit und Fehler. Korrekturen können von der KI vorgenommen werden, inzwischen sogar schon, bevor die Fehler gemacht wurden. Bei DeepLwrite zum Beispiel werden mir bereits weitere Formulierungen vorgeschlagen, sobald ich einen Satz begonnen habe. Das heißt, ich habe eine andere Form des Schreibtrainings. Was mich aber nicht davon befreit, zu fragen: Ist der Text gut oder ist er nicht gut? Sagt er das, was ich ausdrücken will oder nicht? Textkompetenz ist also nicht ersetzbar, aber sie muss angepasst und weiterentwickelt werden. Mit der medialen Form der Texte ändern sich auch die erforderlichen Kompetenzen der Textproduktion und -rezeption. Korrekturen zum Beispiel, die ich früher von der Lehrkraft in einer Woche oder in drei Tagen erhalten habe, bekomme ich jetzt mit KI-Schreibhilfen unmittelbar oder sogar schon bevor ich den Fehler mache. In Form von Formulierungsvorschlägen. Das ist eine andere Qualität des Schreibprozesses und das würde ich als Lehrkraft nutzen.

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Werden sich dadurch auch die Lernziele verändern?

Hermann Funk: Lernziele verändern sich zunächst einmal nicht. Es geht weiter darum, in kommunikative Szenarien integriert handlungsorientiert schreiben zu lernen. Das heißt aber auch, dass die KI sich unterordnen muss unter das, was wir als sprachliche und pädagogische Lernziele in Schule und Gesellschaft für wichtig erachten. Die KI schreibt auf dieser Ebene nicht die Lernziele und sie sollte im Idealfall auch keine Unterrichtsentwürfe und ganze Unterrichtsreihen schreiben. Prompts, die die Bedingungen einzelner Lerngruppen und die Lernstände einzelner Lernender berücksichtigen, wären sehr aufwendig. KI kann aber assistieren, zum Beispiel um das Wortschatz-Management zu verbessern oder gute Anwendungsbeispiele als Trainingsgrundlage für bestimmte Strukturen zu finden. Aber jede Nutzung muss untergeordnet sein unter die Lernziele, die ich pädagogisch und im Gesamtcurriculum als sinnvoll vorausgesetzt habe.
 

Was muss eine Lehrkraft über die Nutzung von KI wissen?

Hermann Funk: Eine Lehrkraft sollte vor allem wissen, wo sie sich selbst die Arbeit erleichtern kann. Sie sollte aber auch wissen, was die Lernenden nutzen. Der Dialog mit den Lernenden darüber, was sie nutzen oder eher nicht nutzen sollten, ist die Grundlage der Entwicklung kritischer Medienkompetenz. Die Grundlagen dafür müssen bereits in der Ausbildung der Lehrkräfte gelegt werden. Sie muss sich dadurch auszeichnen, dass man lernt, KI-Tools zu bedienen und einzusetzen. Die Tools ändern sich ständig, deswegen geht es nicht darum, bestimmte Werkzeuge zu trainieren, sondern darum zu wissen, was hilft. Denn was ich heute mache, ist morgen vielleicht schon längst veraltet.
 

Das heißt konkret?

Hermann Funk: Ein ganz einfaches Beispiel: In den gängigen DaF-Lehrwerken ging es immer um das Thema Orientierung: Wo gehst du hin? Rechtsherum, linksherum, geradeaus. Meistens wird dies als eine Möglichkeit genutzt, Präpositionen einzuführen und auch noch wechselnde Kasus zu üben. Tatsächlich ist das Orientieren aber eine Sache, die wir seit Jahren vor allem mit Apps erledigen und nicht mehr, indem wir ständig Leute nach dem Weg fragen. Kommunikative Alltagsfunktionen wie Orientierung und Einkaufen haben sich bereits jetzt verändert. Die Lehrwerke haben das bisher nur bedingt reflektiert. 

Meine Vorhersage ist, dass die Lehrwerke in den nächsten Jahren besonders im Anfangsunterricht die Lerninhalte verändern und an einen mehr und mehr digital assistierten Alltag in einer sich verändernden Gesellschaft anpassen müssen.  Es muss eine inhaltliche und lerntechnische Kopplung zwischen Lehrwerken und KI geben. Das heißt zum Beispiel auch, wir müssen künftig eher mit Texten und Themen arbeiten, die stärker Kultur und gesellschaftliches Engagement thematisieren. Meines Erachtens heißt das aber nicht, grundsätzlich zurückzukehren zum Kultur- und Literaturlehrwerk. Literatur und Fiktion können aber als Motivationsfaktoren eine große Rolle spielen. Das sehen wir daran, dass auch junge Menschen wieder sehr viele Bücher kaufen.

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Kommen wir zu Ihrer Lehrwerksreihe „Das Leben“. Was ist hierbei das besondere Konzept?

Hermann Funk: Im Lehrwerk Das Leben sind traditionelle Lehrwerkthemen bereits weiterentwickelt: Statt „Bestellung im Restaurant“: „Food Blogging“, statt „Wohnen & Wohnungssuche“: „Tiny houses“. Theater, Musik, Literatur und Ehrenamt als Kapitel-Themen. Das Leben ist zudem offen für alle medialen Ergänzungen. Wir haben den Page Player als Instrument hineingenommen und den digitalen Unterrichtsmanager entwickelt, aus dem heraus Unterrichtsabläufe organisiert und Texte und Medien abgerufen werden können. Lehrwerke haben auch früher immer verfügbare Medien integriert. Genau das müssen wir jetzt auch mit der KI schaffen.

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Die Mündlichkeit wird eher an Gewicht gewinnen

Wird die KI bei der Mündlichkeit auch eine große Rolle spielen?

Hermann Funk: Ich kann mittlerweile Gesprochenes mit Smartphones simultan übersetzen. Diese synchronen Möglichkeiten werden sich auch weiterentwickeln und selbstverständlich werden. Auch als Dialogpartner ist die KI nützlich, wenn ich allein das Sprechen trainiere. Es wird aber auch immer Situationen geben, in denen ich authentisch sein und keine Assistenzsysteme benutzen möchte. Deswegen bin ich sicher, dass die Mündlichkeit ein wichtiges Kompetenzfeld bleibt und sogar im Vergleich zu früher eher an Gewicht gewinnen wird. Denn die mündliche Leistung ist die, die mir unmittelbar zeigt, welche Kompetenzen die Person tatsächlich hat. Hausarbeiten von Studierenden hingegen können KI-generiert sein. 

Wir haben uns in Das Leben bereits stärker als in anderen Lehrwerken auf den systematischen Erwerb kollaborativer mündlicher Kompetenzen von Anfang an konzentriert. Denn mit den vielfältigen Möglichkeiten von KI, den Schreibprozess zu unterstützen, wird gleichzeitig das mündliche Kompetenztraining in den Kursen wichtiger. Zur kritischen Medienkompetenz gehört dabei, zu erkennen, das KI-Dialog-Antworten nur ein Echo erzeugen. Lob, Verständnis, Empathie, also echte Resonanz ist nur simuliert. Die „Humanizer“-Funktion in vielen KI-Apps ist ein Programm zur Täuschung der Rezipienten.
 

Sie sprachen vorhin von der Ausbildung der Lehrkräfte. Können die Lehrwerke auch etwas zur Weiterbildung der Lehrkräfte beitragen?

Hermann Funk: Ein Lehrwerk bietet nach wie vor eine große Chance, Innovationen an Lehrkräfte heranzutragen, weil es das einzige Buch ist, das sie jeden Tag in die Hand nehmen. Man muss aber vorsichtig sein mit Innovationsanforderungen und die Lehrkräfte mitnehmen. Denn sie werden gut gemachte und überzeugende Beispiele in Lehrwerken ausprobieren und sich dadurch mit den neuen Konzepten vertraut machen. Viele Fremdsprachendidaktiker sind skeptisch, ob Lehrwerke so etwas leisten können.  Meine Erfahrung - und ich habe inzwischen zehn Lehrwerks-Reihen als Autor und Herausgeber zu verantworten - ist, dass neue Konzepte durchaus in die Praxis einfließen, wenn Lehrkräfte davon überzeugt werden können, dass sie funktionieren.

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Zur Person

Hermann Funk war Professor für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und leitet gemeinsam mit Dr. Christina Kuhn die Arbeitsstelle Lehrwerkforschung und Materialentwicklung (ALM). Er war bis 2022 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA). Bei Cornelsen hat er unter anderem an den Lehrwerksreihen studio d, studio 21 und Das Leben als Herausgeber und Autor mitgewirkt.

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