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Differenzieren & Fördern / 20.10.2025

Sprechhemmungen im DaZ-Unterricht überwinden

Claudia Böschel über gehirneffizientes Lehren, bewegtes Lernen und die Wertschätzung der Muttersprachen

Unterschiedliche Bildungshintergründe, verschiedene Lernstände und sehr individuelle Lebenserfahrungen sind im DaZ-Unterricht ein Hemmnis für die mündliche Kommunikation. Doch Sprechen ist entscheidend für das Lernen einer Fremdsprache. Wie also kann es gelingen, die Schülerinnen und Schüler im DaZ-Unterricht zum Sprechen zu motivieren? Das haben wir Claudia Böschel gefragt. Die Autorin und Dozentin bietet unter anderem Didaktikfortbildungen im Sprachenbereich an.

Kinder sitzen auf Treppen und halten bunte Sprechblasen an einem sonnigen Tag.
Bild: Shutterstock.com/Sergey Novikov

Frau Böschel, zunächst ganz grundsätzlich: Vielen Menschen fällt es schwer, sich mündlich in einer ihnen fremden Sprache zu äußern Da gibt es einfach Ängste. Warum ist das so?

Claudia Böschel: Es ist eine Hochleistung, in einer neuen Sprache zu sprechen. Wir müssen Wörter abrufen, den Satzbau planen, die Artikulation. Das läuft alles innerhalb von höchstens ein paar Sekunden ab. Das heißt, unser limbisches System meldet sehr häufig Gefahr. Wenn ich Gefahr spüre, weil ich vielleicht ausgelacht werde oder weil ich scheitern könnte, dann drückt die Amygdala, die für emotionale Reaktionen wie Angst und Furcht zuständig ist, kurzerhand auf die Bremse und blockiert damit das freie Sprechen.


Wie kann ich den Schülerinnen und Schülern die Angst nehmen oder wie kann ich sie dazu bringen, trotzdem zu sprechen?

Claudia Böschel: Wir können als Lehrkräfte dieses limbische System sehr leicht entwarnen. Zum Beispiel, indem wir kleine, sofort lösbare Sprachimpulse geben, bei denen die Lernenden bloß mit Ja oder Nein antworten oder auch nur ihre Hand heben müssen. Es ist außerdem wichtig, den Fokus des perfekten Satzes wegzunehmen. Diese Mikroschritte helfen, Sicherheit aufzubauen. Das Allerwichtigste ist natürlich die Beziehungsarbeit. Das fängt schon mit der Kennenlernrunde an. Denn wenn ich nicht weiß, wer neben mir sitzt und wer die anderen Schülerinnen und Schüler sind, werde ich schnell unsicher. Auch die Beziehung zwischen der Lehrkraft und den Teilnehmenden ist sehr wichtig.

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Gibt es im DaZ-Unterricht eigentlich spezifische Probleme?

Claudia Böschel: Deutsch ist eine komplizierte Sprache, dazu kommen interkulturelle Filter. Und die Sprachmuster, die die Schülerinnen und Schüler aus ihrer Erstsprache mitbringen und die in der Zweitsprache einfach anders sind, können sehr verwirrend sein, weil sich die deutsche Formulierung einfach falsch anhört. Da das Gehirn aber gewöhnt ist, in vertrauten Bahnen zu fahren, meldet es auch dann schnell: Stopp, das kann nicht stimmen, lass das mal lieber.
 

Es heißt aber, es ist besser, Fehler zu machen, als gar nicht zu sprechen. Wie kann ich als Lehrkraft die Schülerinnen und Schüler ermuntern, Fehler zu machen?

Claudia Böschel: Ich kann nicht einfach sagen: Macht Fehler, es ist gut, Fehler zu machen. Denn diese Ängste sind ernst zu nehmen. Wir können Fehler aber zum Beispiel inszenieren. Ich arbeite gern mit der Fehlerversteigerung. Dafür teile ich die Teilnehmenden in Gruppen ein, und gebe jeder Gruppe Spielgeld, das sie eine Woche lang verwalten können. Dann schreibe ich Sätze an die Tafel, die sie im freien Sprechen falsch formuliert haben und frage dann die Gruppen: „Wie viel Geld würdet ihr jetzt dafür einsetzen, weil ihr genau wisst, wo der Fehler ist?“ Und dann fangen sie an, Fehler zu ersteigern. Das heißt, das Gehirn versteht, Fehler sind erlaubt, Fehler sind erwünscht.

Dann kommen wir zu Ihrem Schwerpunktthema: Gehirneffizientes Lehren. Was ist das genau?

Claudia Böschel: Ich habe diesen Begriff für mich gefunden, weil ich mir immer die Frage gestellt habe, was kann ich tun, damit die Lernenden sich wohlfühlen und besser lernen können, was ist effizient? Viele der klassischen Unterrichtsmethoden sind nicht besonders gehirneffizient. Wiederholungen müssen nicht unbedingt als Drill daherkommen, ich muss nicht permanent irgendeinen Lückentext ausfüllen. Denn das Gehirn arbeitet sehr gern mit allen Sinnen. Und ich brauche Emotionen. Emotionen sind quasi der Kleber, der die Sprachinformationen besser verankert. Der Clou ist, alles, was Spaß macht, setzt Dopamin frei und Dopamin ist der Stoff, der dafür sorgt, dass wir Dinge wiederholen wollen und dass wir das gern machen. Das heißt, wir brauchen einfach mehr Abwechslung.
 

Gibt es denn besondere Tricks, um die Schülerin zum Sprechen zu bringen?

Claudia Böschel: Ja, zum Beispiel kleine Mini Challenges, bei denen man nicht so viel nachdenken muss. Also so etwas wie: Sag mal spontan drei Worte zu einem Bild. Oder man verteilt geheime Sprachaufträge. Ich gebe zwei, drei Personen am Anfang der Stunde einen Zettel oder ich schreibe im Online-Unterricht eine Privatnachricht. Da steht dann zum Beispiel: Sage heute dreimal die Phrase „meiner Meinung nach“. Und die anderen müssen am Ende raten, wer welches Redemittel hatte.

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Und wie vermitteln Sie solche Phrasen und Sprachgerüste?

Claudia Böschel: Auch da ist für mich die Abwechslung das Wichtigste. Bewegung ist ein Turbo fürs Lernen. Das heißt, Sprache wird besser verankert, wenn sie im Körper mitläuft. Ich lege manchmal Zettel mit Phrasen auf die Erde oder auf die Tische, und fordere die Teilnehmenden auf: Geht herum und sagt diese Formulierung traurig, oder lustig, oder wütend und so weiter. Und wenn ich dann eine sehr seriöse Phrase plötzlich lustig vortragen soll, dann gibt es dem Ganzen einfach einen anderen Kick. Es kann sehr hilfreich für die Phonetik sein, aber auch die Grammatik läuft automatisch mit. So entstehen stabilere Gedächtnisspuren und das Sprechen fällt leichter.
 

Haben Sie noch andere Beispiele?

Claudia Böschel: Ja, ich nutze zum Beispiel gern einen Ball. Der Ball ist so ein wunderbares Instrument für das Gehirn, weil man diese Auge-Hand-Koordination hat und sehr viel Gleichgewichtsarbeit leisten muss. Er ist ein super Instrument, um noch mehr Gedächtnisspuren zu hinterlassen. Nachdem wir an einem Text gearbeitet haben, nehme ich zwei Bälle, einen mit einem Fragezeichen und einen mit einem Ausrufezeichen und werfe sie zwei verschiedenen Person zu. Die Person mit dem Frageball stellt eine Frage zum Text, die mit dem Ausrufezeichenball antwortet darauf. Jetzt könnte man sagen, das ist ja total banal, das kann ich ja auch ohne Ball machen. Aber dieser Ball, das ist das Spannende, verleiht Sicherheit. Ich weiß, ich habe den Frageball, ich muss eine Frage stellen und ich habe außerdem diese Komponente dabei, dass ich den Ball auch fangen muss.
 

Sie setzen den Ball also häufig im Unterricht ein?

Claudia Böschel: Durchaus. Zum Beispiel in Verbindung mit einem Redemittel. Dann wähle ich eine typische Fehlerquelle, etwa ‚seit zwei Jahren‘. Viele sagen ‚seit zwei Jahre‘. Die Teilnehmenden kriegen Kärtchen, die sie sich mit Kreppband an die Brust heften, darauf steht dann seit, vor, nach, und so weiter. Und jetzt geht der Ball reihum und dann sagt ein Teilnehmer seit zwei Jahren und er wirft den Ball weiter zu einer anderen Teilnehmerin und sie sagt vor zwei Jahren und so weiter.

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Mit Aufgaben zum Gestalten, Schreiben und Sprechen

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In den Klassen sitzen verschiedene Muttersprachlerinnen und -sprachler. Binden Sie diese Sprachen in den Unterricht mit ein?

Claudia Böschel: Es ist wichtig, Wertschätzung zu signalisieren: Deine Sprache hat hier Platz. Das baut Vertrauen auf, das motiviert auch, die neue Sprache auszuprobieren. Und das andere ist auch, immer mal wieder hin und her zu übersetzen. Wir machen das auch mit mehreren Sprachen. Wir haben zum Beispiel mit DeepL einen Satz vom Deutschen ins Russische, ins Arabische und so weiter übersetzt und zum Schluss wieder ins Deutsche. Und dann haben wir gesehen, wie stark sich der Satz verändert hat. Das ist so ein bisschen wie Stille Post. Anschließend haben wir überlegt, warum ist das passiert? Dann konnten die Schülerinnen und Schüler sich einbringen, sie konnten zum Beispiel sagen, im Türkischen hängt alles am Verb und so konnten wir gemeinsam feststellen, warum die Übersetzung dieses Ergebnis gebracht hatte. Das ist eine sehr positive und motivierende Erfahrung für alle Lernenden.

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Zur Person

Claudia Böschel hat Deutsch als Fremdsprache und Sport studiert und arbeitet seit über zwanzig Jahren als freie Dozentin, Fortbildnerin und Autorin von mittlerweile 72 Büchern. Auch für Cornelsen hat sie mehrere Lehrwerke und Ratgeber veröffentlicht. Im Frühjahr erscheint dort ihr Buch Gehirneffizientes Lehren.

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