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Unterricht gestalten / 02.06.2025

Wie eigenverantwortliches Lernen gelingen kann

Den Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule gestalten

Der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule ist der erste große Einschnitt in der Schullaufbahn. Wie kann dieser Übergang gelingen und vor allen Dingen: Welche Kompetenzen brauchen Schülerinnen und Schüler in der weiterführenden Schule? Die entscheidenden Stichworte sind: selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen. Tobias Müller arbeitet an einem Gymnasium, an dem er passend dazu ein Gesamtkonzept entwickelt hat. Teil dieses Konzepts ist sein Buch „Eigenverantwortliches Arbeiten lernen“. Wir haben ihn gefragt, was hinter diesem Konzept steckt und wie Lehrkräfte das Buch einsetzen können.

Bild: Shutterstock.com/wavebreakmedia

Herr Müller, was bedeutet der Übergang zur weiterführenden Schule für die Schülerinnen und Schüler ganz konkret?

Tobias Müller: Unsere Schülerschaft kommt, wie es häufig der Fall ist, von ganz verschiedenen Grundschulen und bringt dementsprechend natürlich auch unterschiedlichste Voraussetzungen mit, was das Arbeiten in der Schule angeht. Manche sind – zum Beispiel dank Wochenplanarbeit und Freiarbeit – schon wirklich fit, was das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen angeht, andere nicht. 

Insgesamt ist der Übergang bei aller Vorfreude und Neugier eine Herausforderung für viele Schülerinnen und Schüler. In der Regel müssen sie sich nun in einem deutlich komplexeren Gebäude mit einer größeren Schülerzahl zurechtfinden. Außerdem haben sie nicht mehr nur eine Klassenlehrkraft, die einen Großteil des Unterrichts bestreitet. Es gibt mehr Fächer, Fachlehrkräfte und Fachräume und für manche ist der Schulwechsel auch mit einem großen Leistungsdruck verbunden. An unserer Schule bereiten wir sie deswegen in einer Einführungswoche Schritt für Schritt auf den Wechsel vor: mit dem Stärken der neuen Klassengemeinschaft oder dem Kennenlernen der Fachlehrkräfte, des Schulhauses, des Stundenplans und der wichtigsten Regeln für das Schulleben. Wir haben darüber hinaus pro Klasse zwei Klassenlehrkräfte, die immer ansprechbar sind.

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Ihr Buch „Eigenverantwortliches Arbeiten lernen“ soll den Lernenden gleich beim Start in die weiterführende Schule wichtige Fähigkeiten vermitteln. In sieben Kapiteln listen Sie insgesamt knapp 30 Kompetenzen auf. Das sind also die Kompetenzen, die Kinder in der weiterführenden Schule brauchen?

Tobias Müller: Wir haben dazu unser Kollegium gefragt, welche Kompetenzen die Schülerinnen und Schüler unabhängig von einzelnen Fächern benötigen, um bei uns eigenverantwortlich und selbstständig arbeiten zu können. Dabei sind diese sieben Kapitel entstanden: Struktur, Persönlichkeitsentwicklung, gemeinsames Arbeiten, Verstehen von Inhalten, Umgang mit und Sichern von Informationen und Präsentieren. Wenn die Lernenden in diesen Bereichen Hilfe bekommen, ist das schonmal eine gute Voraussetzung für das Arbeiten an der weiterführenden Schule.


Ihr Buch wendet sich an Lehrkräfte, aber auch explizit an Schülerinnen und Schüler. Warum haben Sie dieses Format gewählt?

Tobias Müller: Vielleicht kennen Sie das schlaue Buch von Tick, Trick und Track aus der Reihe Lustiges Taschenbuch, in das sie immer mal wieder reinschauen, wenn Probleme vor der Tür stehen. Das war auch meine Idee: dass die Schülerinnen und Schüler etwas in der Hand haben, auf das sie ihr Schulleben lang zurückgreifen können. Wir setzen das Buch vor allem in Klasse fünf und sechs ein. In dieser Zeit bleibt es immer im Klassenraum, damit zuverlässig darin gearbeitet werden kann. Ab Klasse sieben dürfen die Kinder es mit nach Hause nehmen und können dort immer mal wieder reinschauen: Wie geht denn das eigentlich, eine Textzusammenfassung? Oder: Ich habe Probleme in der Gruppenarbeit, wie kann ich das besser lösen? Natürlich ist es praktisch, wenn die Schülerinnen und Schüler das ganze Buch zur Verfügung haben, aber die Materialien sind auch so gedacht, dass gezielt einzelne Bausteine genutzt werden können.

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Welche Rolle spielen die Lehrkräfte dabei?

Tobias Müller: Wir sind diejenigen, die unsere Schülerinnen und Schüler auf diesem Weg unterstützen und ihnen geeignete Werkzeuge an die Hand geben, um selbstständiger zu werden. Wir haben zunächst einmal eine Fortbildung für alle Lehrkräfte zum Umgang mit diesem Buch durchgeführt: Wie ist es aufgebaut und wie kann ich es sinnvoll im Unterricht einsetzen? Ab dem nächsten Schuljahr sollen unsere Lehrkräfte durch Stundenentwürfe zu den einzelnen Bausteinen beim spontanen Einsatz der Materialien noch mehr unterstützt werden, etwa im Vertretungsunterricht.
 

Wird das Buch denn von vorne nach hinten durchgearbeitet?

Tobias Müller: Die Reihenfolge ist variabel. Ich habe es bewusst so aufgebaut, dass man auch einzelne Bausteine rausnehmen kann, wenn man als Lehrkraft merkt, dass die Schülerinnen und Schüler in einem Bereich Schwierigkeiten haben. Das gilt auch für einzelne Lernende. Wenn ich feststelle, dass es für die Klassenarbeit mit dem Lernen nicht so richtig geklappt hat oder sie nicht wissen, wie sie anfangen sollen, dann schlage ich vor: Schaut euch das Kapitel noch einmal an und macht ein paar Übungsaufgaben dazu.

Interaktives Quiz

Dann gehört noch ein interaktives Quiz dazu. Welche Rolle spielt das?

Tobias Müller: Mein Ziel war, dass sich die Schülerinnen und Schüler mit diesen zunächst einmal eher theoretischen Infotexten auch spielerisch beschäftigen und das kommt sehr gut an. Es gibt einen QR-Code pro Baustein, der abgescannt wird und dann startet das Quiz auf der Learning-Snack-Seite. Dort gibt es unterschiedliche Formate. Manchmal geht es darum, aus verschiedenen Antworten mehrere richtige rauszufinden, oder es gibt kleine Umfrage-Aufgaben, bei denen sie ihre Meinung zu diesem Thema äußern können.
 

Alle Schülerinnen und Schüler haben ein digitales Gerät?

Tobias Müller: Bei uns werden Buch und Quiz vorrangig im Vertretungsunterricht eingesetzt. Die Lehrkräfte können zum Beispiel vier oder fünf Tablets mit in diesen Unterricht nehmen. Diese stellen sie vorne auf und immer, wenn ein Tablet frei ist, kann ein Kind es für das Quiz nutzen. Auch für manche Aufgaben werden digitale Geräte benötigt, etwa beim Recherchieren.
 

Und wieso vorzugsweise im Vertretungsunterricht?

Tobias Müller: Am Gymnasium existiert oft ein hoher Zeitdruck in den einzelnen Fachschaften, weil jeder mit seinem Stoff durchkommen will. Wir mussten also etwas außerhalb des Fachunterrichts suchen und da bot sich der Vertretungsunterricht an. Wir haben an unserer Schule die Regelung, dass, wenn Lehrkräfte krank, auf Klassenfahrt oder auf Fortbildung sind und sie keine Arbeitsaufträge vorbereiten können, dieses Buch eingesetzt wird. So wird die Vertretungsstunde sinnvoll genutzt.

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Schülerinnen und Schüler können sich zum Lernen immer weiter vom Klassenraum entfernen

Sie haben ein Gesamtkonzept an Ihrer Schule mit dem Lernortführerschein, der Lernortgestaltung und Modulen zum eigenverantwortlichen Arbeiten. Was genau steckt dahinter?

Tobias Müller: Ich glaube, das Heranführen an eigenverantwortliches und selbstständiges Lernen sollte in das Gesamtkonzept einer Schule oder zumindest des eigenen Unterrichts eingebettet sein. Wenn diese Form des Arbeitens nur vereinzelt im Vertretungsunterricht, aber nicht konstant im Unterricht stattfindet, ist das nicht zielführend. Deswegen ist für mich der Lernort auch ein ganz wichtiger Baustein. Es spielt eine große Rolle, ob wir als Lehrkraft mit im Raum sind oder ob wir die Schülerinnen und Schüler ermutigen, sich auch außerhalb des Klassenraums Lernorte zu erschließen. Das steckt hinter dem Konzept Lernortführerschein. Damit können sich Lernende dazu qualifizieren, sich beim Arbeiten immer weiter vom Klassenraum zu entfernen. Das bedeutet, dass sie zunächst direkt im Gang vor dem Klassenraum arbeiten, dort gibt es entsprechende Arbeitsbereiche. Wenn das erfolgreich geklappt hat, ist der nächste Bereich unser Lernatelier, in der Lernberaterinnen und Lernberater unterstützend zur Verfügung stehen. Wenn die Schülerinnen und Schüler eine Frage haben, können sie sich aber nicht direkt an die Lehrkraft wenden, sondern müssen selbstständiger nach Lösungen suchen. Der nächste Schritt ist das Arbeiten auf dem Schulhof. Dieser Platz ist insbesondere in der warmen Jahreszeit sehr beliebt. Und ab Klasse zehn können einzelne mit Elternerlaubnis in eigenverantwortlichen Phasen außerhalb des Schulgeländes arbeiten.
 

Also Homeoffice?

Tobias Müller: So kann man es sehen. Aber das ist die Ausnahme. In erster Linie muss die Schule so gestaltet sein, dass die Schülerinnen und Schüler dort gut und gern arbeiten können. Wir haben inzwischen Sitz- und Steharbeitsmöglichkeiten in den Gängen und ein modern eingerichtetes Lernatelier. Das nächste Projekt ist der Schulhof, auch dort wollen wir attraktive Lernmöglichkeiten schaffen: ein grünes Klassenzimmer und weitere beschattete Sitzbereiche.

Und neben dem Lernort ist das eigenverantwortliche Arbeiten in den einzelnen Fächern ein wichtiger Baustein an unserer Schule. Früher war das nur in der Freiarbeit in Klasse fünf und sechs verankert. Das neue Konzept sieht vor, dass die Fachschaften für einzelne Jahrgänge verbindliche Themenmodule durchführen, in denen über einen längeren Zeitraum hinweg eigenverantwortlich gearbeitet wird. Dadurch begegnen die Lernenden dieser Art des Arbeitens während ihrer gesamten Schullaufbahn.
 

Eine Frage noch zum Lernortführerschein. Das heißt ja für Sie als Lehrkraft, Sie müssen Kontrolle abgeben. Ist das schwierig?

Tobias Müller: Ich glaube, es gehört häufig zur Lehrerpersönlichkeit, alle Fäden in der Hand zu haben und die Lernenden Schritt für Schritt anzuleiten. Unsere Rolle sollte sich jedoch zunehmend dahin wandeln, den Schülerinnen und Schüler mehr Selbstständigkeit zuzutrauen und beratend und unterstützend zur Seite zu stehen. Dabei fällt es manchmal schon schwer, sie ihre Wege gehen zu lassen, bei denen immer wieder Fehler passieren können, die aber für den Lernprozess wichtig sind.
 

Wenn die eigene Schule kein solches Gesamtkonzept hat, können Lehrkräfte trotzdem im Kleinen anfangen?

Tobias Müller: Ja, definitiv. Dafür soll das Buch eine praktische Hilfestellung sein. Die Materialien lassen sich niedrigschwellig im eigenen Unterricht einsetzen. Und auch der Vertretungsunterricht kann dadurch aufgewertet werden. Unterrichtsausfall ist ja immer wieder ein großes Thema und wenn es dafür sehr gute Materialien gibt, die Spaß machen und die Schülerinnen und Schüler gleichzeitig weiterbringen, ist das doch eine tolle Sache. Aber entscheidend ist es, dann anschließend auch Raum und Möglichkeiten zu schaffen, in denen die neuen Fähigkeiten ausprobiert werden können.

Neue Lernformen für die Schülerinnen und Schüler

Werden Sie Ihr Konzept weiterentwickeln?

Tobias Müller: Ja, ich probiere gerade sehr viel in meinem Unterricht aus. Ich habe glücklicherweise eine Schulleitung, die mich darin sehr unterstützt. Ich teste, wie es ist, wenn die Schülerinnen und Schüler ihre Klassenarbeit nicht zu einem festgelegten Termin schreiben, sondern wenn sie sich dazu bereit fühlen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, diese zu wiederholen, wenn sie mit ihrer Leistung nicht zufrieden sind. Das stärkt die Motivation und senkt ungesunde Prüfungsangst. Meine Schülerinnen und Schüler arbeiten zurzeit weitgehend frei, in ihrem Tempo und werden in der Regel nicht zum Arbeiten gezwungen. Auch damit mache ich sehr gute Erfahrungen. Ich glaube, es gibt ganz viele Möglichkeiten, im Kleinen anzufangen, Unterricht neu zu denken und die Lernenden zum selbstständigen Arbeiten zu befähigen. 

Zur Person
Tobias Müller arbeitet seit 2010 am Freiburger Kepler-Gymnasium und unterrichtet die Fächer Musik und evangelische Religion. Er ist an seiner Schule verantwortlich für Konzeptionen zum eigenverantwortlichen Arbeiten und setzt darüber hinaus Schwerpunkte im Bereich Digitalisierung und in weiteren Schulentwicklungsprozessen.

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