Lehrkräfte als Führungskräfte
Durch Haltung, Beziehung und Konsequenz echte Autorität gewinnen
Lehrkräfte sind Führungskräfte, sagt Alexandra Wendler. Und sie sollten sich dieser Rolle bewusst sein. Damit meint sie nicht bloß die Schulleitungen, sondern jede Lehrkraft. Aber was genau bedeutet Führungskraft im pädagogischen Kontext? Heißt das etwa eine Rückkehr zu autoritären Strukturen? Oder gehört Führung per se zur Lehrerpersönlichkeit? Das haben wir die Fortbildnerin, die selbst viele Jahre als Lehrerin und Schulleiterin gearbeitet hat, gefragt.

Frau Wendler, Sie sprechen im Zusammenhang mit Lehrkräften von Führungskräften. Heißt das, die Lehrkräfte sollten wieder autoritär werden?
Alexandra Wendler: Das ist eine gute Frage, weil das schon das erste Missverständnis aufzeigt. Ganz oft wird Autorität mit autoritär gleichgesetzt, aber es sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Das Autoritäre kommt letztendlich aus einem Machtanspruch. Bei Autorität hingegen geht es darum, bewusst Verantwortung für bestimmte Prozesse zu übernehmen, auch für die Beziehung, in der man sich dabei befindet. Das heißt, es besteht ein klarer Wille dazu, Steuerung übernehmen zu wollen. Nach meinem Verständnis sind Lehrkräfte Führungskräfte, weil sie die Personen sind, die die Gesamtverantwortung für den Prozess tragen.
Und was gehört zu dieser Rolle als Führungskraft?
Alexandra Wendler: Zum einen gehört dazu, dass ich mir meiner Haltung sehr bewusst bin. Das bedeutet aber auch, dass ich bereit bin, sie permanent zu hinterfragen und auch zu reflektieren. Und ich muss ein Interesse daran haben, diese Beziehung klar zu gestalten und konsequent zu bleiben. Das heißt, ich bleibe in der Beziehung, auch wenn ich zum Beispiel aufgrund von Regeln, die gebrochen wurden, Konsequenzen durchsetzen muss.
Ich bleibe den Schülerinnen und Schülern zugewandt und trotzdem in der Sache klar und deutlich. Ein guter Begriff dafür ist ‚stabiles Beziehungsgegenüber‘. Ich weiß also, das ist meine Aufgabe und es ist mir wichtig, dass dieser Mensch sich bestmöglich entwickeln kann und dafür bin ich bereit, meinen Teil beizutragen und auch diese Verantwortung zu übernehmen. Im Autoritären wäre mir das ja egal. Da geht es nur darum, meinen Machtanspruch durchzusetzen.
„Mit dem Begriff Augenhöhe bin ich ein bisschen vorsichtig“
Gehören also beispielsweise Wertschätzung, Beziehung auf Augenhöhe und Kooperation auch zu dieser Führungsrolle?
Alexandra Wendler: Das gehört dazu. Wobei ich mit dem Begriff Augenhöhe ein bisschen vorsichtig bin. Ich habe Lehrkräfte erlebt, die verstehen unter Augenhöhe so etwas wie ein Freund für die Schülerinnen und Schüler zu sein. Das kann ich in der Lehrerrolle nicht sein. Ein Freund würde ja keine Noten verteilen. Auf Augenhöhe heißt, ich nehme den anderen Menschen mit seinen Bedürfnissen wahr und kann dann im nächsten Schritt echte Kooperationen herstellen und sagen, jetzt arbeiten wir an gemeinsamen Zielen. Denn es geht gerade in dieser positiven Idee von Führung nicht darum, die alleinige Verantwortung für alles zu tragen, sondern ich bin auch gut in der Lage, zu sagen, das ist dein Teil, für den du Verantwortung trägst. Du als Schüler trägst Verantwortung für deinen Lernprozess, aber ich bin bereit, dich darin zu begleiten und die Bedingungen herzustellen, die du dafür brauchst. Aber die Verantwortung bleibt bei dir.
Was bringt es denn den Schülerinnen und Schülern und mir als Lehrkraft, wenn ich wirklich diese Art von positiver Führungskraft bin?
Alexandra Wendler: Ich bin der festen Überzeugung, dass es beiden eine enorme Steigerung der Beziehungsqualität bringt. Wenn ich das Gefühl habe, ich gehe in die Klasse und habe eine grundlegende Basis, von der aus ich gut operieren kann und auch mein Gegenüber hat Klarheit und Orientierung, dann wirkt sich das positiv auf den Lernprozess aus. Denn Orientierung ist für den Lernprozess unheimlich wichtig. Ich kann mir dadurch auch eine gute Basis mit den Schülerinnen und Schülern schaffen, die herausfordernd sind, weil sie mich als dieses stabile Beziehungsgegenüber erleben und sich sagen, wenn ich Regeln gebrochen habe, wird das auch Konsequenzen haben, aber ich fühle mich trotzdem weiter als Mensch geachtet und wertgeschätzt. Und ich glaube, das ist das, was viele Kinder heute auch brauchen. Wir erleben viele Kinder, die mit wenig qualitativ guten Beziehungserfahrungen in Schule kommen und die dann mit dieser Unsicherheit überall anecken.
Nicht mit Strafen, sondern mit Konsequenzen arbeiten
Wie sieht denn gute Führung im Schulalltag beispielhaft aus?
Alexandra Wendler: Ich nenne einmal das Beispiel Klassenregeln. Da erleben Lehrkräfte oft, dass die Schülerinnen und Schüler sich nicht daran halten. Die Situation kann dann ganz schnell eskalieren, irgendwann kommt der Punkt, an dem ich als Lehrkraft das Gefühl habe, ich muss mit Strafen durchsetzen, dass diese Regeln eingehalten werden. Dann entwickelt sich eine Dynamik wie ein Tauziehen. Die Schülerinnen und Schüler tun sich zusammen, rebellieren immer weiter, testen immer weiter aus, wie weit sie gehen können, und ich merke, dass ich in meinem Eskalationskatalog, was Strafen und Maßnahmen angeht, immer weiter nach oben klettere. Aber da erreiche ich ja irgendwann eine Grenze.
In dieser anderen Idee von Autorität geht es gar nicht darum, immer noch eins obendrauf zu setzen, sondern eigentlich immer wieder auf die Basis zurückzukommen. Zum Beispiel, wenn es um Regeln geht, zu sagen, sind das überhaupt Regeln, die wir gemeinsam vereinbart haben, oder habe ich sie als Lehrkraft bestimmt? Dann brauche ich auch das Gegenüber, das heißt, ich brauche die Schüler, die auch verstehen, wofür diese Regeln sinnvoll sind und warum es gut ist, sie einzuhalten. Und dann ist es wichtig, nicht mit Strafen, sondern mit Konsequenzen zu arbeiten. Die Schülerinnen und Schüler wissen, es gibt eine Konsequenz, die eine logische Folge ihres Verhaltens ist und nicht irgendeine Strafe, die ich aus dem Hut ziehe.
Und das bedeutet?
Alexandra Wendler: Ich habe zum Beispiel erlebt, dass Kinder, die im Unterricht nicht mitgearbeitet und gestört haben, vom Sportunterricht ausgeschlossen wurden. Aber was hat der Sportunterricht mit Problemen im Mathematikunterricht zu tun? Eine Konsequenz, die sich aus dem Verhalten ergibt, sieht anders aus. Zum Beispiel: Ein Schüler schlägt einen anderen. Dann geht es auch darum, den anderen Schüler zu fragen, was wäre denn jetzt für dich eine angemessene Konsequenz aus der Tat und wenn er sagt, ich brauche von ihm eine ehrliche Entschuldigung, dann ist das in Ordnung. Oder er sagt, er soll für mich auch noch irgendetwas Gutes als Ausgleich tun und wir überlegen uns dann gemeinsam, was das sein könnte. Konsequenzen sind also auch etwas, das auf Kooperation aufbaut und nichts, was wir von oben diktieren.
Zur Person
Alexandra Wendler ist ehemalige Lehrerin und Schulleiterin (Master of Arts Schulmanagement) und arbeitet als freiberufliche Trainerin für Schulen und pädagogische Einrichtungen und Autorin zu Themen wie u.a.: Lerncoaching, Umgang mit herausforderndem Verhalten, Fehlerkultur. Außerdem bietet sie die Erfahrungswerkstatt „MenschPferd - Von Pferden lernen“ an.




