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Künstliche Intelligenz / 17.10.2025

KI-gestützte Diagnose im Mathematikunterricht

Vorschläge zum Umgang mit typischen Fehlertypen

Wohl eine der frustrierendsten Erlebnisse des Lehrerberufes ist die Korrektur einer Klassenarbeit, bei der Schülerinnen und Schüler auch bei einfachen Aufgaben Fehler machen, mit denen man vorher nicht gerechnet hat. Mit fortschreitender Komplexität der mathematischen Inhalte wird es für Schülerinnen und Schüler aber auch für die Lehrkraft zunehmend schwerer, Fehlermuster zu identifizieren und eingeschliffenen Fehlergewohnheiten entgegenzuwirken. Häufig stammen die Bearbeitungsfehler nicht aus dem aktuellen Unterricht, sondern beziehen sich auf Inhalte, die bereits länger zurückliegen.

Frau springt vor blauem Himmel, umgeben von Symbolen für Künstliche Intelligenz wie einem roten Ai-Kästchen, Buchstaben und geometrischen Zeichen
Bild: Kreuzbergkind/KI-generiert mit Midjourney V6

Typische Fehlertypen von Schüler/-innen – ein mathematikdidaktischer Zugang

Fehler sind häufig nicht zufällig, sondern systematisch. In der mathematikdidaktischen Forschung spricht man von präkonzeptuellen Fehlvorstellungen, die sich aus früheren Erfahrungen oder übergeneralisierten Regeln ergeben. Fehler entstehen oft, weil Schülerinnen und Schüler mathematische Konzepte nicht in ihrer ganzen Tiefe durchdrungen haben.

Solche Fehler werden auch als „Fenster in die Köpfe der Lernenden“ beschrieben, denn sie geben Aufschluss darüber, welche Denkprozesse und Vorstellungen bei der Bearbeitung einer Aufgabe aktiv sind. Insbesondere Fehler, die durch mangelnde Automatisierung oder falsche Verallgemeinerung mathematischer Regeln entstehen, sind besonders hartnäckig. Diese Problematik ist aus der Theorie des prozeduralen und konzeptuellen Wissens bekannt: Viele Schüler lernen Rechenregeln isoliert und wenden sie mechanisch an, ohne die dahinterstehende mathematische Struktur zu verstehen.

Ein klassisches Beispiel aus der Arithmetik ist der Punkt-vor-Strich-Fehler: Ein Schüler berechnet den Ausdruck 3 + 4 * 2 als (3 + 4) * 2 = 14, statt korrekt 3 + (4 * 2) = 11. Solche Fehler treten häufig auf, weil Lernende die Prioritätsregeln nicht als feste Gesetzmäßigkeit verstehen, sondern als flexible Anweisung, die je nach Kontext variiert.

Forschungsergebnisse, etwa aus dem Bereich der Fehlermusteranalyse, zeigen, dass diese Missverständnisse tief verwurzelt sein können und gezielt durch Diagnose und gezielte Reflexion angegangen werden müssen.

Besonders problematisch ist, dass diese Fehlvorstellungen nicht isoliert bleiben: Sie übertragen sich auf nachfolgende mathematische Konzepte und können beispielsweise in der Algebra dazu führen, dass Rechenoperationen falsch verknüpft werden. Aus diesem Grund ist es essenziell, dass Lehrkräfte nicht nur die Korrektur von Fehlern im Blick haben, sondern auch deren Ursachen erkunden und gezielt darauf eingehen.

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Die Herausforderung: Weiterkommen trotz Wissenslücken

Für Lehrkräfte ist es eine schwierige Gratwanderung: Einerseits muss der Lehrplan eingehalten werden, andererseits können sich bestehende Defizite verhärten und den Lernfortschritt langfristig behindern. Wer einfach weitermacht in der Hoffnung, dass sich Verständnislücken von selbst schließen, baut neue Inhalte auf unsicheren Grundlagen auf.

Die einzig wirksame Lösung ist eine passgenaue Diagnose für die jeweilige Lerngruppe. Ohne eine präzise Analyse der Fehlermuster unterrichtet man im Blindflug. Fundierte Diagnostik hilft, gezielt auf Fehlvorstellungen einzugehen, individuelle Fördermaßnahmen zu entwickeln und langfristiges Verstehen zu sichern.

Künstliche Intelligenz als Gamechanger in der Fehlersuche

Hier eröffnen sich mit der Künstlichen Intelligenz ganz neue Möglichkeiten: KI-gestützte Systeme können Schülerfehler systematisch kategorisieren und in Echtzeit vertiefend analysieren. So lassen sich wiederkehrende Fehlermuster schneller identifizieren und adaptive Lernangebote entwickeln, die gezielt an den individuellen Schwächen der Schülerinnen und Schüler ansetzen. Einen konkreten Einblick in die Möglichkeiten möchte ich am Beispiel der Auswertung einer Aufgabe aus meiner letzten Klassenarbeit geben. Hier ging es unter anderem um quadratische Terme und die Anwendung binomischer Formeln.

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Ein Praxisbeispiel: Fehleranalyse in der Klassenarbeit

In meiner letzten Klassenarbeit sollten die Schülerinnen und Schüler den Term mithilfe einer binomischen Formel umformen. Die Ergebnisse fielen sehr unterschiedlich aus:

Bild: Cornelsen/Inhouse

Diese Ergebnisse wurden an cornelsen.ai übergeben mit der Aufforderung:

„Analysiere die Antworten nach Strukturen. Welche typischen Schülerfehler lassen sich aufgrund der Lösungen identifizieren?“

Das System antwortete mit einer detaillierten Analyse basierend auf den Antworten der Schülerinnen und Schüler. Diese Informationen sind für die Lehrkraft hilfreich – allerdings bleibt im Unterricht nicht hinreichend Zeit, alle Fehler in Gänze zu würdigen, da einige nur einzelne Schülerinnen und Schüler betreffen. Mein Ziel war es deswegen, den Schülerinnen und Schülern konkrete Hilfe an die Hand zu geben – und dies auf eine wertschätzende Art.

Folgender Prompt lieferte einen Brief adressiert an die Lernenden:

„Fasse das Ergebnis zusammen in einem Brief an die Schüler. Schreibe positiv. Beginne so: "Liebe Schülerinnen und Schüler, um in Zukunft beim Umgang mit den binomischen Formeln noch erfolgreicher zu sein achtet darauf, dass ihr ..." Starte mit einer groben Analyse der Aufgabe, indem du angibst, wie viele Schüler die Aufgabe korrekt lösten. Gib in den Tipps auch an, wie viel Prozent der Schüler in der Klassenarbeit diesen Fehlertyp zeigten. Achte darauf korrekte deutsche Sätze anzugeben und stelle Formeln korrekt dar. Unterschreibe mit meinem Namen (Dr. Andreas Pallack)“

Dies ist in meinem Fall die Antwort von cornelsen.ai gewesen:

Bild: Cornelsen/Inhouse

Fehler präventiv aufdecken: Ein Multiple-Choice-Test

Noch konkreter und hilfreicher wird es für die Lernenden, wenn sie sich typischen Fettnäpfchen bewusstwerden. Um es einfach zu machen, soll ein Multiple-Choice-Test als Anlass dienen, Fehlermuster im Unterricht aufzuspüren und ihnen entgegenzuwirken. Mit diesem Prompt gewinnt man einen einfachen Test:

"Die Schüler sollen testen, ob sie diese typischen Fehler anwenden. Erstelle einen Multiple-Choice-Test mit 3 geeigneten, ähnlichen Aufgaben. Die korrekte Lösung steht nie an erster Stelle. Die Distraktoren orientieren sich an typischen Schülerfehlern. Jede Aufgabe hat genau fünf Distraktoren. Die Distraktoren sollen jeweils nur einmal vorkommen. Gib hier nur den Test ohne weitere Erläuterungen aus. Verzichte bei der Darstellung auf Klammern, die man weglassen kann, ohne das Ergebnis zu verändern. Stelle ^2 als hochgestellte Zahl 2 dar."

Mit diesem Ergebnis:

Bild: Cornelsen/Inhouse

Fazit: KI als Chance für gezielten Mathematikunterricht

Gut zu erkennen ist, dass faktisch alle Fehlermuster in dem Test gespiegelt werden.

Ich halte eine solche Fehleranalyse im Verbund mit einer geeigneten Intervention für deutlich zielführender als eine klassische Korrektur der Arbeit im Gleichschritt an der Tafel. Der einzelne Schüler mit seinen individuellen Kompetenzen wird in den Mittelpunkt gerückt. Ihm wird konkret geholfen.

Natürlich war das vorher auch schon möglich. Der Einsatz von KI spart der Lehrkraft aber immense Zeit und reduziert Fehlerquellen. Durch die Zusammenarbeit von Lehrkräften einer Jahrgangsstufe kann der Pool von fehlerhaften Schülerlösungen immens erweitert werden. So lässt sich eine Roadmap für den Unterricht nicht nur für die nächsten Wochen, sondern vielleicht sogar für Jahre entwickeln, da eingeschliffenen Fehlvorstellungen in der Breite mit großem Nachdruck begegnet werden muss.

Ich denke, dass es sich lohnt, Schüler an den Einsatz von KI heranzuführen, da es letztendlich das Ziel ist, sie zu befähigen, solche Systeme sicher selbst zu nutzen und sie zum Lernen von Mathematik einzusetzen.

Bild: Cornelsen/Inhouse

Zur Person

Dr. Andreas Pallack verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse und die pädagogische Praxis. Nach einer selbstständigen Tätigkeit in der Bildungsberatung und einem Studium der Mathematik, Physik und Informatik promovierte er zur Methodologie qualitativer Datenanalyse im Bildungsbereich. Als Lehrer, Ausbilder und Qualitätsentwickler war er in Schule, Hochschule, Ministerium und Bildungsinstituten tätig. Seine Schwerpunkte sind die empirische Bildungsforschung, die Schulpädagogik, Digitalität und deren Didaktik sowie die Schulentwicklung.

Heute leitet er das Franz-Stock-Gymnasium in Arnsberg – mit dem Anspruch, Forschung und pädagogische Praxis sinnvoll zu verbinden. Er ist Herausgeber des bundesweit erschienen Mathematik-Schulbuchs Fundamente der Mathematik.

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