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Künstliche Intelligenz / 12.11.2025

Zeitgemäße Prüfungskultur im Fach Studium & Beruf

„KI trifft Karriere“

Künstliche Intelligenz verändert die Arbeitswelt – und mit ihr auch den Bewerbungsprozess. Was vor wenigen Jahren noch nach Zukunftsmusik klang, ist heute längst Realität: Immer mehr Unternehmen nutzen KI-gestützte Systeme zur Sichtung von Bewerbungsunterlagen, während Bewerber/-innen selbst KI einsetzen, um ihre Anschreiben zu optimieren. Diese Entwicklung stellt nicht nur die Recruiting-Praxis, sondern auch die schulische Berufsorientierung vor neue Herausforderungen. Wie können Schüler/-innen lernen, KI sinnvoll, kritisch und reflektiert einzusetzen? Und wie kann Schule auf diese Transformation reagieren, ohne technologische Trends unreflektiert zu übernehmen? Im Ergänzungskurs „Studium & Beruf“ wurde genau das ausprobiert – mit einem innovativen Prüfungsformat, das Künstliche Intelligenz nicht als Konkurrenz, sondern als Lernpartner begreift.

Frau springt vor blauem Himmel, umgeben von Symbolen für Künstliche Intelligenz wie einem roten Ai-Kästchen, Buchstaben und geometrischen Zeichen
Bild: Kreuzbergkind/KI-generiert mit Midjourney V6

„Laut einer Umfrage der Deutschen Presseagentur unter den 40 DAX-Unternehmen (an der sich allerdings nur 16 davon beteiligt haben) ist der Einsatz von KI bei Bewerbungen für große Konzerne offenbar keinesfalls ein No-Go. […] Auch auf der Bewerber*innenseite ist eine wachsende Bereitschaft dafür feststellbar: Fast jede fünfte befragte Person hat schon mal künstliche Intelligenz beim Verfassen einer Bewerbung eingesetzt, ergab eine Umfrage des IT-Unternehmens Softgarden letztes Jahr. Und knapp 42 Prozent konnten es sich vorstellen, sie in Zukunft dafür zu verwenden.“ 
(Quelle: Deutschlandfunk Nova)

Eine kurze Recherche zu den Stichworten KI und Bewerbung ergibt zahlreiche Treffer für Artikel mit ähnlichen Aussagen. In der Regel schließen sich daran dann Tipps und Tricks für das Verfassen von Bewerbungen mit Chatbots an sowie rechtliche Hinweise und ethische oder Datenschutzbedenken. Auch Schüler/-innen haben diese „praktischen Abkürzungen“ für das Erstellen von Lebensläufen und Motivationsschreiben bereits für sich entdeckt.

Diese Entwicklungen stellten die Sinnhaftigkeit der bisherigen Klausurersatzleitung im von mir unterrichteten Ergänzungskurs „Studium & Beruf“ in Frage, die aus der Erstellung solch einer klassischen Bewerbung bestand. Recht naheliegend war daher, aus der Not eine Tugend zu machen und die KI angeleitet und explizit als Teil der Leistung einzubinden. Der KI-Lernhelfer von Cornelsen fungierte hierbei allerdings nicht als automatischer Textersteller, sondern als eine Art persönlicher Bewerbungscoach, der Fragen stellte, Hinweise gab und Feedback lieferte. Begleitet wurde der gesamte Prozess von einer schriftlichen Dokumentation und einer ausführlichen Reflexion. So entstand ein Prüfungsformat, das fachliche Anforderungen mit einer Auseinandersetzung über Chancen und Grenzen von KI-Sprachmodellen verbindet.

Bild: Cornelsen/Inhouse

Dieses Vorgehen ist in meinen Augen nicht nur eine methodische Spielerei, sondern ein klarer Schritt in Richtung zeitgemäßer Prüfungskultur. Wie auch im Interview mit Andreas Terfloth erwähnt, schlägt man sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits bewältigen die Schüler/-innen eine tatsächliche, lebensnahe Aufgabenstellung und erwerben so praktische Kompetenzen, andererseits setzen sie ein KI-Tool bewusst, kritisch und zielgerichtet ein. Dies dient der Vorbereitung auf eine von künstlicher Intelligenz zunehmend transformierte Welt.

Dass diese Kompetenzen heute wichtiger denn je sind, zeigt ein Blick auf die eingangs bereits erwähnten aktuellen Entwicklungen im Bewerbungsprozess. In vielen Unternehmen ist der erste Kontakt zwischen Bewerber/-in und Arbeitgeber/-in inzwischen immer häufiger ein Algorithmus: Bewerbungsunterlagen werden von sogenannten Applicant Tracking Systems (ATS) auf Schlüsselbegriffe gescannt, bevor sie überhaupt eine Personalabteilung erreichen. Wer diese Hürde nehmen will, muss seine Bewerbung sprachlich und strukturell so gestalten, dass sie maschinenlesbar ist – und genau hier kann eine KI wertvolle Unterstützung leisten. Auf der anderen Seite nutzen auch Bewerberinnen und Bewerber verstärkt generative KI, um ihre Unterlagen zu optimieren oder gezielt ATS-Systeme zu „füttern“. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein für ethische Fragen: Wie transparent muss der Einsatz solcher Tools sein? Welche Risiken entstehen durch Standardisierung und mögliche Diskriminierungen?

Bild: Anne-Christin Zeng

Die Umsetzung der Klausurersatzleistung im Kurs folgte einem klar strukturierten Ablauf, dessen Ausgangspunkt die gemeinsame Aneignung und Klärung (bzw. für manche auch Wiederholung) relevanter Fachbegriffe rund um KI-Sprachmodelle mithilfe einer von mir erstellten LearningApp war sowie die kritische Thematisierung der sogenannten Anthropomorphisierung von Künstlicher Intelligenz. 

Ich finde es zentral, den Schüler/-innen bestimmte KI-Narrative bewusst zu machen, wie beispielsweise die Zuschreibung menschlicher Eigenschaften und Verhaltensweisen. LLMs sind wie ein „stochastischer Papagei“ (vgl. Emily Bender), die mit dem "Next-Word-Prediciton"-Verfahren arbeiten. Das heißt, selbst wenn meist plausible Antworten generiert werden, ist das Modell nicht in der Lage, den Sinn oder die Bedeutung eines Textes zu erfassen. Schüler/-innen müssen sich also im Klaren darüber sein, dass trotz z. T. beeindruckender Imitation von Sprache das System keine echten „Gedanken“ oder „Intentionen“ hat. Dies ist insofern relevant, da unser Sprachgebrauch mit Formulierungen wie „ein Gespräch mit der KI führen“ oder „die KI antwortet“ häufig fälschlicherweise eine gewisse Vermenschlichung suggeriert.

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Bild: Anne-Christin Zeng

Im nächsten Schritt erhielten die Schüler/-innen von mir eine Anleitung inklusive eines vorformulierten Prompts sowie weiterer Hinweise und Schritte, mit dem sie die KI in die Rolle eines Coachs versetzten. Anstatt fertige Texte zu liefern, stellte die KI gezielte (Rück-)Fragen, schlug Formulierungsvarianten vor und gab Hinweise zu Aufbau und Stil. Die Schüler/-innen arbeiteten mit diesen Impulsen weiter, überprüften die Vorschläge kritisch und passten sie an ihre eigene Persönlichkeit sowie an das konkrete Stellenangebot an. Auf dieser Basis verfassten die Schüler/-innen einen tabellarischen Lebenslauf und ein Motivationsschreiben, dessen Bewertung eine Hälfte der Note ausmachte. 

Parallel dazu exportierten sie am Ende die Konversation mit dem KI-Lernhelfer als Dokument, das ebenfalls eingereicht werden musste. Im zweiten Teil der Aufgabe fassten sie knapp das Vorgehen zusammen, begründeten exemplarisch die in der eigenen Bewerbung berücksichtigten formalen, fachlich-inhaltlichen und sprachlichen Hinweise der KI sowie die positiven und negativen Erfahrungen bei der Nutzung des KI-Tools. Ein ausformuliertes und reflektierendes Ergebnis in Bezug auf die Erstellung der Bewerbungsunterlagen, die Einordnung in einen Gesamtzusammenhang, der kritische Umgang mit den eigenen Schlussfolgerungen und Urteilen sowie die eigene Positionierung hinsichtlich des individuellen Nutzens und der gesellschaftlichen Bedeutung rundeten die Reflexion ab, die die andere Hälfte der Note ausmachte. 

Besonders in der abschließenden Bewertung der Klausurersatzleistung  zeigte sich, dass diese von den Schüler/-innen als sinnvoll empfunden wurde – bei gleichzeitig kritischem Blick auf Grenzen und Risiken:

  • „Das Beratungsgespräch mit der KI war besonders in Bezug auf Anregungen zur Textgestaltung sehr hilfreich. Der Cornelsen KI-Lernhelfer bot mir sinnvolle Strukturen und blieb in den Formulierungshilfen stets adressatengerecht. Ich empfand jedoch die von der KI gestellten Rückfragen zu meiner Person teilweise weniger zielführend bzw. nicht relevant für das Gewinnen neuer Erkenntnisse. Darüber hinaus wiederholte sich die KI mehrmals in ihrer Beratung und brachte weniger neue und weiterführende Ansätze.“
  • „Für zukünftige Bewerbungen werde ich sicher wieder auf KI-Hilfen zurückgreifen – aber mit einem deutlich kritischeren Blick als beim ersten Mal. Ich verstehe nun besser, wie man solche Tools effektiv einsetzt: als Inspirationsquelle und strukturelle Hilfe, niemals als fertige Lösung. Denn das was am Ende zählt, ist nicht perfekte Formulierungstechnik, sondern der echte Mensch hinter der Bewerbung.“
  • „Schließlich ist die Bewerbung nur ein kleiner Teil des gesamten Bewerbungsverfahrens. Spätestens beim Vorstellungsgespräch muss man als Person selbst aktiv werden und kann zwar mit KI üben auf grundlegende Fragen zu antworten, aber muss dennoch spontan reagieren können. Auch kann KI nicht die menschliche Fähigkeit miteinander zu kommunizieren ersetzen. Künstliche Intelligenz kann meiner Meinung nach kurzfristig sehr von Nutzen sein, ist aber langfristig kein legitimer Ersatz für die Entwicklung der eigenen sprachlichen, empathischen und kreativen Fähigkeiten.“

Für Schüler/-innen und für Lehrkräfte bietet dieses Prüfungsformat folglich diverse Vorteile. Es verbindet ein authentisches, lebensnahes Produkt – eine realistisch einsetzbare Bewerbung – mit einer Kompetenzentwicklung, die sowohl digitale als auch reflexive Fähigkeiten umfasst. Statt einer passiven Übernahme des Outputs des Chatbots werden die Schüler/-innen in die Lage versetzt, die KI aktiv zu steuern und aus den Ergebnissen auszuwählen. Gleichzeitig entstehen im Unterricht gewinnbringende Diskussionen über Datenschutz, Gerechtigkeit, Originalität und die zukünftige Rolle von KI in Beruf und Gesellschaft.

Gerade weil Bewerbungsprozesse sich in einer zunehmend von Digitalisierung und Digitalität geprägten Welt rasant verändern, ist es entscheidend, junge Menschen frühzeitig auf diese Realität vorzubereiten. Eine Klausurersatzleistung wie die hier beschriebene macht deutlich, dass entsprechend adaptierte Unterrichtsvorhaben und zeitgemäße Prüfungsformate dabei sowohl Orientierung und Hilfestellung bieten als auch Anlass für weiterführende Reflexionen sein können.

Konrad Schaller und Frau Zeng sind Lehrer am Carl-von-Ossietzky-Gymnasium Berlin Pankow
Bild: Anne-Christin Zeng

Zur Person:

Anne-Christin Zeng ist Lehrerin für die Fächer Deutsch, Geographie und Studium & Beruf an einem Berliner Gymnasium. Daneben ist sie Koordinatorin für Berufsorientierung und  Beauftragte für Medienbildung und Digitalisierung an ihrer Schule. Als Gewinnerin des Deutschen Lehrkräftepreises (DLP) 2021 in der Kategorie „Unterricht innovativ“ begeistert sie sich besonders dafür, neue und moderne Unterrichtsthemen und -formate gemeinsam mit ihren Schüler/-innen auszuprobieren und die gewonnenen Erkenntnisse dann mit andere Lehrkräften zu teilen, beispielsweise im Rahmen von Webinaren und Präsenzfortbildungen für Cornelsen im Fach Deutsch (seit 2021).

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