Lesenlernen in der Grundschule: Mit Leseflüssigkeit zum nachhaltigen Leseerfolg
Wie ein grundlagenorientiertes Lesetrainingskonzept alle Kinder individuell beim Lesenlernen unterstützen kann
Lesenlernen ist nicht einfach. Dazu kommt, dass in der ersten Grundschulklasse Kinder mit ganz unterschiedlichen Fertigkeiten zusammen lernen, nämlich solche, die so gut wie keinen Buchstaben kennen mit anderen, die bereits lesen können. Eine große Herausforderung für Lehrkräfte und ein hoher Anspruch an die Lehrwerke und Übungsmaterialien.

Herr Wehren, was sind eigentlich die die größten Herausforderungen beim Lesenlernen in der Grundschule?
Bernd Wehren: Zunächst einmal sind es die unterschiedlichen Voraussetzungen. Da sind die Kinder, denen zu Hause viel vorgelesen wird. Über diesen Lesestoff wird viel geredet, ihr Wortschatz wird enorm erweitert und die Lust am Lesen wird gefördert. Daneben gibt es Familien, in denen das überhaupt nicht passiert. Natürlich spielt auch die Herkunftssprache eine große Rolle. Ein grundsätzliches Problem, was auch das Lesen betrifft, ist außerdem, dass sich die Kinder in der Schuleingangsphase nicht mehr ausreichend konzentrieren können. Die ersten Lesestufen - also Buchstaben, Silben, erste lautgetreue Wörter – werden dann nicht gesichert und die Leseflüssigkeit und das verstehende Lesen, das darauf folgt, sind oft fehlerhaft.
Wie können Lehrkräfte die Lust aufs Lesenlernen wecken?
Bernd Wehren: Eigentlich fängt das Lesenlernen schon im Kindergarten bei den Bilderbüchern an. Dann muss man beim Lese- und Schreiblernprozess die didaktischen Stufenfolgen beachten, also vom Laut über Buchstaben, Silben und lautgetreue Wörter zu Satzteilen, Sätzen und ganzen Texten. Dabei ist es wirklich wichtig, sich Zeit zu nehmen und zu differenzieren. Daneben gibt es natürlich noch verschiedene spezielle Leselernmethoden, wie Blitzlesen, Fahrstuhllesen, Wippenlesen, Echolesen, chorisches Lesen oder Tandemlesen. Es gibt meiner Meinung nach nicht die beste Leselernmethode. Ganz entscheidend ist, genug Lesestoff anzubieten. Das können Bilderbücher sein oder auch Pixie Bücher. Es gibt auch von verschiedenen Verlagen spezielle Leseangebote, bis hin zu diese Escape-Room- oder Lesespur-Geschichten. Das alles kann man auch in einer Lese-Ecke anbieten.
Ihr Buch heißt „Flüssiges Lesen trainieren“. Warum ist flüssiges Lesen so entscheidend?
Bernd Wehren: Flüssiges Lesen ist die Voraussetzung für das verstehende Lesen. Es gibt verschiedene Kriterien für die Leseflüssigkeit, also zum Beispiel die Lesegenauigkeit. Genaues und fehlerfreies Lesen ist einfach die Voraussetzung, Wörter und Inhalte von Sätzen und kurzen Texten zu verstehen. Dann zweitens das Automatisieren, also gute Leser lesen sicher und kaum stockend, genauso wie wir als Erwachsene sofort automatisiert ein Wort erfassen. Sie lesen nicht mehr jeden Buchstaben oder jede Silbe, sondern sie erfassen das Wort automatisch und verbinden dies sofort mit der Wortbedeutung, also mit dem Inhalt. Schwächere Leser sind zunächst mit dem Erlesen an sich, also mit der Technik beschäftigt. Sie bewegen sich oft auf der Wortebene und können sich kaum auf die Inhalte konzentrieren. Wenn es um den ganzen Satz geht, dann müssen sie vielleicht noch einmal nachlesen und dann noch einmal und da zeigt sich, wie wichtig diese Leseflüssigkeit ist. Denn damit einher geht auch die Lesegeschwindigkeit. Und wenn man zu langsam liest, sind die Informationen nicht im Kurzzeitgedächtnis und am Ende eines Satzes weiß man nicht mehr, was am Anfang gelesen wurde. Ich stelle fest, dass mittlerweile viel mehr Wert auf dieses flüssige Lesen gelegt wird, denn das verstehende Lesen wurde viel zu früh gefordert. Die Kinder konnten oft noch gar nicht flüssig lesen, da wurde aber schon zum Beispiel mit Ankreuztexten oder ähnlichem gearbeitet, um das verstehende Lesen zu überprüfen.
16 Leselernmethoden werden vorgestellt
Wie können die Lehrkräfte Ihr Buch nutzen?
Bernd Wehren: Der Vorteil dieses Buches ist zum einen, dass man viel Material findet und unterschiedliche Arbeitsblätter innerhalb von drei Übungsheften, beziehungsweise Übungsabschnitten - und zwar für alle Lesestufen, die im Grunde für die Schuleingangsphase wichtig sind. Da gibt es einmal Buchstaben und Silben für Anfänger, dann gibt es Wörter und Satz für Fortgeschrittene und Sätze und Kurztexte für Profis. Dann werden - und das ist wahrscheinlich einzigartig - 16 Leselernmethoden vorgestellt, die wahlweise genutzt werden können. Und zwar nicht nur von den Lehrkräften, sondern auch von den Kindern. Denn sie sind illustriert, sodass die Kinder selbst erkennen können, um welche Methode es sich handelt. Die Leselernmethoden kann die Lehrkraft auch als Leporello für die Kinder gestalten oder vergrößern und in den Klassenraum hängen. So kann man nach und nach jede Leselernmethode vorstellen. Und man sollte die Kinder damit auch ein bisschen experimentieren lassen, denn je variantenreicher der Leseunterricht ist, desto motivierter sind die Kinder und desto größer ist der Leselernerfolg. Zudem enthält das Buch - was es auch in normalen Fibeln, Lehrwerken oder Arbeitsheften so nicht gibt - einen individuellen Lesetrainingsplan und einen Lesepass. Dieses Material kann man neben dem normalen Deutschunterricht auch im Förderunterricht, in der Wochenplan- oder in der Freiarbeit einsetzen. Und auch die Eltern können das Material für häusliche Leseübungen mit ihren Kindern nutzen.
Üben ist also sehr wichtig?
Bernd Wehren: Ja! Oft erlebe ich es als Lehrer, dass in den Arbeitsheften eine Übung angeboten wird und wenn ich Glück habe, kommt sie noch ein zweites Mal auf der nächsten Seite vor. Aber die Kinder brauchen eine etwas längerfristige Übungsphase, um das wirklich zu verinnerlichen. Dafür ist das Buch Flüssiges Lesen trainieren einfach ideal. Denn die drei Übungshefte haben unterschiedliche Schwerpunkte und man kann den Kindern so möglichst individuell die passenden Hefte oder Materialien zum Üben geben, damit dann am Ende der Schuleingangsphase möglichst alle Kinder flüssig lesen können.
Zur Person
Bernd Wehren studierte von 1990 bis 1995 Lehramt in Münster mit den Fächern Deutsch, Mathematik, Sachunterricht und Sport. Nach einem Referendariat in Bochum unterrichtete er an mehreren Grundschulen. Seit 2000 arbeitet er an der Heinrich-Neuy-Grundschule in Steinfurt. Ab 2006 sind zahlreiche Arbeitshefte, Kopiervorlagen, Unterrichtsmaterialien und Lernspiele für Grundschüler/-innen von Bernd Wehren erschienen.



