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Unterricht gestalten / 02.06.2025

Demokratiebildung in der Grundschule

Ein Gespräch mit der Philosophie-Didaktikprofessorin Barbara Brüning

Wie werden Kinder zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern? Wie lernen sie, Demokratie zu leben und sie auch zu verteidigen? Und wann und wo lernen sie dies? Kinder sollten möglichst früh an der Gestaltung des Zusammenlebens – egal ob zuhause, in der Kita oder in der Grundschule – beteiligt werden, meint Babara Brüning.  Wie das in der Grundschule gelingen kann und was Grundschulkinder darüber hinaus an demokratischer Bildung brauchen, zeigt ihr neues Themenheft „Wir wollen mitentscheiden! – Demokratie und Kinderrechte in der Grundschule“. Wir haben die emeritierte Philosophie-Didaktikprofessorin gefragt, wie dieses Buch in der Grundschule eingesetzt werden kann.

Kinder sitzen auf Treppen und halten bunte Sprechblasen an einem sonnigen Tag.
Bild: Shutterstock.com/Sergey Novikov

Frau Brüning, warum ist Demokratiebildung in der Grundschule wichtig?

Babara Brüning: Kinder leben in verschiedenen Gemeinschaften mit Erwachsenen zusammen, in der Familie, in der Kita, in der Schule und dann später in der Gemeinde, im Land. Dieses Zusammenleben in den Gemeinschaften muss gestaltet werden und daran sollen Kinder aus meiner Sicht stark beteiligt werden. Demokratiebildung in der Grundschule zeigt dann Möglichkeiten auf, wie sich Kinder an der Gestaltung dieses Zusammenlebens beteiligen können.
 

Also es geht nicht nur darum, etwas über Demokratie zu erfahren, sondern auch selbst zu leben?

Babara Brüning: Der Titel des Buches lautet „Wir wollen mitentscheiden“. Ja, es geht darum, Demokratie zu leben. Aber natürlich vermittelt das Themenheft auch Wissen über die Demokratie. Wo ist die Demokratie entstanden? Welche demokratischen Institutionen gibt es - angefangen beim Klassenrat und Schülerrat, über den Gemeinderat bis zum Bundestag. Dieses Wissen ist wichtig. Es werden aber auch Werte des Zusammenlebens vermittelt wie Gerechtigkeit, wie Zivilcourage, wie Solidarität, die für eine Demokratie und für das Zusammenleben in einer Demokratie entscheidend sind.

„Kinder sollten wissen, dass sie bestimmte Rechte haben“

Einen wichtigen Teil nimmt das Thema Kinderrechte in ihrem Buch ein. Warum?

Babara Brüning: Wir haben versucht, alle 54 Rechte im Anhang so für Kinder zu beschreiben, damit sie wissen, welche Rechte sie haben. Das Thema Kinderrechte beginnt ja eigentlich schon in der Kita: „Was darf ich und was darf ich nicht?“ „Ich habe einen Namen, wieso? Was bringt mir das?“ „Ich darf meine Meinung sagen.“ Ich denke schon, dass Kinder wissen sollten, dass sie bestimmte Rechte haben, die alle Kinder auf der Welt haben, genauer gesagt: alle Kinder in den Ländern, die der UN angehören. Und jetzt kommt es darauf an, etwas draus zu machen: Was heißt es denn, dass ich meine Meinung sagen kann? Darf ich dann zum Beispiel auch meine Eltern kritisieren? Darf ich auch Lehrerinnen und Lehrer kritisieren? Das kann man mit den Kindern im Unterricht besprechen und dann auch gemeinsam kleine Szenen gestalten, in denen sie diese Rechte leben.
 

Wie können die Lehrkräfte ihr Buch nutzen und in welchen Fächern?

Babara Brüning: Zunächst einmal in den Fächern Ethik und Religion, wo es ja sowieso darum geht, welche Werte – wie Freundschaft oder Gerechtigkeit – wir haben, oder eben auch: Was sind Regeln? Dort wird das besprochen. Natürlich auch in den Fächern Deutsch und vor allem im Sachunterricht, wo es ja bereits um Institutionen der Demokratie geht. Insofern knüpft das Heft an dieses Wissen an. Das Buch selbst ist in vier große Themen unterteilt: Kinderrechte, das Zusammenleben mit anderen, das Mitentscheiden und – was mir ganz wichtig ist – auch die Werte der Demokratie, was ich an anderen Menschen schätze, wie Zivilcourage, gerechtes Handeln, Mut haben und vieles mehr. Und jetzt kommt es drauf an: Was möchte die Lehrerin, der Lehrer besonders fördern? Geht es um die Werte in einer Demokratie? Dann kann man mit dem vierten Kapitel anfangen. Geht es um Kinderrechte, die Kinder kennen lernen sollen und um und Situationen, wo diese Rechte angewendet werden können, dann würde ich mit dem ersten Kapitel beginnen.  Die Auswahl der Kapitel ist abhängig vom Themenschwerpunkt des Unterrichts und von der Lerngruppe. Die vier Themenblöcke bauen nicht aufeinander auf, sondern es sind vier Kapitel, die für die Demokratie wichtig sind.

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Demokratiebildung sollte in den Grundschullehrplänen eine große Rolle spielen

Steht denn Demokratiebildung explizit in den Grundschullehrplänen?

Babara Brüning: Ich kenne natürlich nicht die Lehrpläne aller Fächer in der Grundschule, aber in den Lehrplänen zum Ethik- und Religionsunterricht wurde die Demokratiebildung nicht explizit angeführt. Da findet man zum Beispiel aber das Thema „Regeln des Zusammenlebens“, und dafür könnte dieses Heft einsetzt werden. In den Lehrplänen für den Sachunterricht geht es zum Beispiel um Institutionen der Demokratie, jedoch auch nicht explizit um Demokratiebildung. Lehrpläne werden aber immer wieder modernisiert, und es ist mir schon ein Anliegen, dass in den Lehrplänen der wertorientierenden Fächer der Grundschule zumindest auch das Thema Demokratie eine wichtige Rolle spielt. Auch das Thema Zivilcourage müsste stärker betont werden, damit die Lehrerinnen und Lehrer es zu einem Bestandteil ihres Unterrichts machen können. Und auch in den Bildungsplänen für die Kita sollte Demokratiebildung eine große Rolle spielen.
 

Sie sprechen in ihrem Buch auch von Demokratiebildung mit allen Sinnen. Was heißt das konkret?

Babara Brüning: Mit allen Sinnen heißt eben, dass es nicht nur um das Nachdenken mit Texten und um Gespräche über Demokratie geht. Es gibt Kinder, die können sich nicht so gut mündlich artikulieren, aber sie können sehr gut malen, und sie können dann auch ein Bild zeichnen, das in die Diskussion einführt. Es gibt auch Vorschläge zum Basteln und Singen oder szenischen Darstellungen. Wichtig ist, dass Demokratie nicht nur über Texte, sondern auch über die emotionale Seite im Menschen angesprochen wird. Und vor allem auch durch Gedankenspiele. Ich stelle mir beispielsweise vor, ich wäre das Kind, das jetzt nicht mitspielen darf, wie würde ich mich verhalten und was würde ich mir wünschen?

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„Das Wichtigste für mich ist das Nachdenken über Werte der Demokratie“

Nun haben wir ja zurzeit ein großes Problem mit demokratiefeindlichen Bewegungen – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Kann Ihr Buch dazu beitragen, dass Kinder dagegen gefeit sind?

Babara Brüning: Das ist natürlich eine große Hoffnung, die ich damit verbinde. Es gibt ja viele Erwachsene, die sagen, „Ach, das sollen die da oben entscheiden, ich habe ja sowieso nichts zu sagen“ und ich denke, der erste Schritt der Demokratiebildung in der Grundschule ist, dass man Kindern vermittelt, du bist wichtig, deine Stimme ist wichtig, du kannst etwas mitgestalten. Nicht allein die Lehrkraft entscheidet, was im Schulgarten angepflanzt wird, ihr könnt euch da ebenso einbringen und es ist auch gewünscht, dass ihr euch einbringt. Es ist entscheidend, dass Kinder von klein auf merken, sie können sich einbringen und es sogar gewünscht ist, dass sie sich einbringen. Das zweite wichtige Anliegen ist, auch Wissen über die Demokratie zu vermitteln. „Welche Institutionen gibt es in der Demokratie?“ „Warum gehen meine Eltern zur Wahl und wählen den Bundestag, was machen die Abgeordneten da, und was bringt mir das als Kind?“ Das Wichtigste ist für mich jedoch das Nachdenken über die Werte der Demokratie: Was bedeutet es, gerecht zu handeln, jemanden zu unterstützen, ihm zu helfen, was heißt, dass alle Kinder gleich sind, egal welche Hautfarbe sie haben? Und dass man dann vielleicht den Gegnern der Demokratie nicht auf den Leim geht, wenn sie über Gerechtigkeit oder Frieden sprechen und das Gegenteil meinen. Meine Hoffnung ist, dass Kinder durch Gespräche über Werte der Demokratie lernen, kritisch nachzufragen: Was meint eine Partei damit, dass es Rechte nur für Deutsche zum Beispiel geben soll? Rechte stehen doch jedem zu! Meine Hoffnung ist, dass aus den Kindern durch die Anregung zum kritischen Nachdenken später einmal kritische Bürgerinnen und Bürger werden.

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Zur Person

Prof. Dr. Barbara Brüning war Professorin für Philosophiedidaktik und allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Sie arbeitet seit mehr als 25 Jahren auch für den Cornelsen Verlag als Autorin von Ethik- und Philosophielehrbüchern für alle Schulformen. Ihre Schwerpunkte sind Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen sowie Angewandte Ethik.

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