Zum Hauptinhalt springen
Differenzieren & Fördern / 06.11.2025

Wie ein bundesweites Programm die Mathematikleistungen stärken will

Mathematikdidaktiker Lars Holzäpfel über die Ziele des QuaMath-Programms

Laut aktuellem IQB-Bildungstrend verfehlen knapp neun Prozent der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler im Fach Mathematik den Mindeststandard für den Ersten Schulabschluss und ungefähr 34 Prozent den Mindeststandard für den Mittleren Schulabschluss. Woher kommt dieses schlechte Ergebnis? Und was muss getan werden? Das haben wir Lars Holzäpfel gefragt. Er ist Professor am Institut für Mathematische Bildung der Pädagogischen Hochschule Freiburg und gehört der erweiterten Leitung des QuaMath-Programms an, dessen Ziel es ist, die Qualität der mathematischen Bildung in Deutschland von der Kita bis zum Abitur nachhaltig zu verbessern.

Porträt von Lars Holzäpfel
Bild: Prof. Dr. Lars Holzäpfel

Herr Holzäpfel, war das Ergebnis des IQB-Bildungstrends für Sie überraschend?

Lars Holzäpfel: Ich war selbst acht Jahre als Lehrer tätig und kenne das Schulbusiness. Derzeit gebe ich viele Lehrkräftefort- und -weiterbildungen und auch Multiplizierenden-Qualifizierungen; zudem gehe ich selbst immer mal wieder in den Unterricht, um den Kontakt ins Klassenzimmer nicht zu verlieren. Ob mich das Ergebnis überrascht hat? Nein, überhaupt nicht, weil ich nämlich das Gefühl habe, dass sich die wirklich zentralen Dinge im Mathematikunterricht nur langsam weiterentwickeln. Aber das alles ist sehr komplex, multikausal und von zahlreichen Faktoren beeinflusst – ich kann hier nur auf einzelne kleine Ausschnitte eingehen und als Didaktiker beschäftige ich mich natürlich verstärkt mit dem Unterricht. Aus dieser Perspektive heraus beobachte ich zum Beispiel, dass wir uns oft auf strukturelle Veränderungen fokussieren wie etwa auf die Umstellungen auf G8 und wieder zurück oder die Einführung neuer Schulformen wie beispielsweise Gemeinschaftsschulen. Die einzelne Unterrichtsstunde wird davon aber noch lange nicht besser. 

Ich habe gerade mit meinen Studierenden wieder den Aufsatz von Heinrich Winter zum Thema Üben aus dem Jahr 1984 gelesen, darin beschreibt er Herausforderungen, die wir heute ganz ähnlich vorfinden: etwa, dass man eigentlich mehr kognitive Aktivierung und Verstehensorientierung beim Üben erreichen will und nicht einfach nur noch monoton die zehnte Version des gleichen Aufgabentyps schematisch abarbeitet. Und wenn ich mir aktuelle Lehr-/Lernmaterialien anschaue, dann merke ich, dass es dort häufig noch um dieses Schritt-für-Schritt-Abarbeiten geht. Das hat sich auch in der Coronakrise eher noch einmal verstärkt: Die Schülerinnen und Schüler haben eine Anleitung bekommen - zum Beispiel durch Erklär- beziehungsweise Anleitungsvideos. „Die Formel geht so und so und dann rechnest du das Schritt für Schritt aus“. Sie mussten dann auf dieser Basis zahlreiche Aufgaben des gleichen Typs durcharbeiten. Dieses Vorgehen erfordert natürlich wenig kognitiven Anspruch bei der Aufgabenbearbeitung und fokussiert sehr stark auf die Ergebnisse – der Blick auf das Verständnis beziehungsweise die dahinter liegenden mathematischen Ideen fehlt. Und auch die Frage nach dem Warum wird dabei nur selten gestellt.

Denkfehler als Bereicherung des Mathematikunterrichts - Lösungen analysieren und verstehen - Buch

Denkfehler als Bereicherung des Mathematikunterrichts

Lösungen analysieren und verstehen

Buch
Bild: Gestaltung der Icons: Stan Hema, Berlin 2017/2018

Lars Holzäpfel

Professor für Didaktik der Mathematik am Institut für Mathematische Bildung der Pädagogischen Hochschule FreiburgDie Mathematikdidaktik hat in den letzten 15, 20 Jahren so viele Erkenntnisse über das Lernen von Mathematik an den Tag gelegt wie kaum eine andere Disziplin in der Didaktik

Sie sind in der universitären Lehrerausbildung tätig, dann könnten Sie doch zu einer Veränderung beitragen.

Lars Holzäpfel: Sie haben recht, und meine Kolleginnen und Kollegen leisten hier auch einen ganz wichtigen Beitrag. Aber Sie dürfen eins nicht vergessen: Spätestens dann, wenn unsere Studierenden für ein Semester in ein Praktikum gehen, kommen sie teils an Schulen, in denen die eben von mir beschriebene Kultur noch immer dominiert. Da reicht es, wenn die betreuende Lehrkraft sagt. „Vergiss das, was du an der Uni gelernt hast. Jetzt gucken wir mal die Praxis an.“ Wir hatten erst kürzlich bei mir an der Hochschule die Tagung des Bundesarbeitskreises für schulpraktische Studien (BASS) mit einer spannenden Keynote von Joana Kahlau aus Bremen. Ihre Dissertation trägt den Titel „(De-)Professionalisierung durch Schulpraxis“ und beschreibt ein interessantes Phänomen: Die Studierenden erleben sich selbst in der Schule häufig als sehr wirksam und kompetent. Sie sind jung, eloquent, kommen vielleicht noch aus der Jugendarbeit, stehen vor die Klasse. Der Unterricht wird so zwar ganz gut gemanagt, alle Lösungen werden schön kontrolliert und es herrscht Ruhe im Klassenzimmer, aber das führt oftmals dazu, dass sie gar nicht realisieren, was eigentlich (nicht) passiert, dass etwa typische Fehler nicht erkannt oder Lernchancen verpasst werden. Wenn die Studierenden sich an der Hochschule zum Beispiel nicht mit den typischen Fehlern bei der Addition von Dezimalzahlen aus theoretischer Perspektive auseinandergesetzt haben, dann können sie diese Fehler im Unterricht nicht diagnostizieren. Die Mathematikdidaktik hat dazu in den letzten 15, 20 Jahren so viele Erkenntnisse über das Lernen von Mathematik an den Tag gelegt wie kaum eine andere Disziplin in der Didaktik; das ist ein großes Potenzial. Wir als Hochschule sind mit zahlreichen ausbildungsbegleitenden Lehrpersonen in ständigem Dialog – auch durch Projekte wie QuaMath – um genau diese Erkenntnisse aus der Wissenschaft in die Praxis zu transportieren und damit die Kohärenz herzustellen zwischen universitärem Ausbildungsabschnitt und Praxisphasen. Diese Personen sind enorm wichtige Partner in der Lehrkräftebildung – sowohl für die erste als auch die zweite Phase.


Es gab immer wieder Bestrebungen, die Unterrichtsqualität zu steigern: So sollte zum Beispiel SINUS den mathematischen und naturwissenschaftlichen Grundschulunterricht verbessern.

Lars Holzäpfel: SINUS war ein hervorragender Impuls. Die Lehrkräfte haben sich auf den Weg gemacht und waren motiviert, gemeinsam an der Weiterentwicklung des Mathematikunterrichts zu arbeiten. Es ist wichtig, dass wir solche Programme haben und sie schaffen auch den nötigen Rahmen. In SINUS hat man aber auch gemerkt, dass es bei einigen Dingen noch Optimierungsbedarf gab. Daraus konnten wir für QuaMath lernen und wir haben einiges berücksichtigt. Etwa, dass es keine One-Shot-Fortbildungen mehr gibt, sondern konsequent immer eine Reihe von Fortbildungen mit mindestens zwei oder drei Terminen einschließlich Praxiserprobungsphasen mit anschließender Reflexion – und  das in jedem Modul. Dazu kommt das Commitment der KMK mit nahezu allen Bundesländern, wodurch man ein großes übergreifendes, gemeinsames Programm hergestellt hat und damit Synergien bündelt. Ein weiterer großer Wurf aus meiner Sicht ist, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von zwölf Universitäten geeinigt haben, mit einem gemeinsamen Qualitätsrahmen zu arbeiten. Zudem haben wir eine enorm enge Vernetzung mit der Praxis und können dadurch in allen Modulteams, die die Qualifizierungs- und Fortbildungsmodule erarbeiten, praktizierende Lehrkräfte einbinden. Wir sind nah dran an der Praxis und erproben regelmäßig alle Materialien, die später in die Fortbildungsmodule einfließen.

Didaktik für die Grundschule - Mathematik (6., überarbeitete Auflage) - Buch

Didaktik für die Grundschule

Mathematik (6., überarbeitete Auflage)

Buch
Stark in der Grundschule - Sachrechnen endlich verständlich! - Arbeitsblätter mit Lernvideos zur Differenzierung - Kopiervorlagen mit Lernvideos - Klasse 1-2

Sachrechnen endlich verständlich! · Arbeitsblätter mit Lernvideos zur Differenzierung

Stark in der Grundschule
Mathe · Klasse 1-2

Kopiervorlagen mit Lernvideos

Fünf Prinzipien für guten Mathematikunterricht

Und worin besteht die Kohärenz in QuaMath über die Akteure und Fortbildungsmodule hinweg?

Lars Holzäpfel: Es sind vielschichtige Dinge. Zum Beispiel sind wir uns einig darüber, dass es neben der Entwicklung von Fortbildungsmodulen immer auch eine begleitende Forschung auf allen Ebenen geben muss, wodurch die ganzen Entwicklungs- und Implementierungsprozesse in den Blick genommen werden. Eine weitere Einigung besteht darin, sich einen gemeinsamen Qualitätsrahmen für Kriterien guten Mathematikunterrichts zu erarbeiten. Das war insofern ein großer Wurf, als man sich über Unterrichtsqualität natürlich auch wunderbar streiten kann. Wir haben es im Deutschen Zentrum für Lehrkräftebildung Mathematik (DZLM) geschafft, uns auf die fünf Prinzipien Kognitive Aktivierung, Verstehensorientierung, Durchgängigkeit, Lernenden-Orientierung & Adaptivität und Kommunikationsförderung zu verständigen – diese sind zentral in allen unseren Qualifizierungs- und Fortbildungsmodulen.
 

Ist für Sie eines dieser Prinzipien besonders wichtig?

Lars Holzäpfel: Alle Prinzipien sind mir wichtig und sie hängen auch eng zusammen. Ich möchte am Prinzip der Durchgängigkeit kurz skizzieren, was daran hilfreich sein kann: Wir verwenden in der Didaktik schon lange den Begriff des Spiralcurriculums. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass ein Thema über mehrere Schuljahre hinweg immer wieder behandelt wird. Wenn wir nun vom Prinzip der Durchgängigkeit sprechen, machen wir noch bewusster, wie die Dinge aufeinander aufbauen und voneinander abhängen. Und diese Abhängigkeit für das Weiterlernen – man kann das auch mit dem Begriff der Basiskompetenz beschreiben – das wird, denke ich, nicht von allen in dieser Weise wahrgenommen. Nehmen wir das Beispiel Prozentrechnen: Da habe ich als Lehrkraft zunächst die Anteilsvorstellung im Kontext der Brüche behandelt und diese möglicherweise am Bruchstreifen dargestellt. Im darauffolgenden Schuljahr kann ich dann beim Prozentrechnen direkt daran anknüpfen, denn das Aufgreifen des Vorwissens ist entscheidend für das Weiterlernen. Wenn die Schülerinnen und Schüler keine Anteilsvorstellung aufgebaut haben, wie sollen sie dann eine Prozentvorstellung aufbauen? 

Junger Mann arbeitet an Prozentstreifen

Wenn ich zuvor mit dem Bruchstreifen eine geeignete Darstellung beim Bruchrechnen verwendet habe, kann ich anschließend beim Prozentrechnen mit dem Prozentstreifen direkt darauf aufbauen. 

Und wenn man das konsequent weiterdenkt, dann muss man auch beim Prozentrechnen die Verstehensgrundlagen für Zinseszinsen und danach für die Exponentialfunktionen sichern. Leider passiert es zu oft, dass die einzelnen Themen recht fragmentiert unterrichtet werden. Bei den Lernenden entsteht der Eindruck einer unüberschaubaren Stofffülle mit unzähligen Themen. Stattdessen könnte man durch das Herausarbeiten eines durchgehenden Gedankens, der sich immer wieder ein Stück weiter auffaltet, einige Dinge gedanklich bündeln – und das kann sehr entlastend sein; sowohl für die Lernenden als auch für die Lehrkräfte.

Gibt es neben der mangelnden Durchgängigkeit noch andere Probleme?

Lars Holzäpfel: Es gibt natürlich noch viele weitere Stellen, die wir kritisch anschauen müssen in Bezug auf das Prinzip der Durchgängigkeit: Ein einfach nachzuvollziehendes Beispiel sind die „Rechentricks“, die man immer dann gern einsetzt, wenn man den Lernenden helfen möchte, schnell die richtigen Ergebnisse zu erlangen. Lassen Sie sich dazu auf ein kleines Experiment ein: Bevor Sie weiterlesen, überlegen Sie sich einmal kurz, wie Sie Lernenden aus der Grundschule die Multiplikation mit 10 erklären würden.
 

Einfach eine Null dranhängen?

Lars Holzäpfel: Genau, einfach eine Null dranhängen. Das ist eine sehr verbreitete Erklärung. Mit solchen Rechentricks wollen wir schnell zum Ergebnis kommen. Das gelingt in der Regel auch und es gibt uns zumindest kurzfristig ein gutes Gefühl. Aber damit schaffen wir uns selbst, beziehungsweise den Lernenden, Probleme, die wir erst später realisieren: Wenn ich nämlich dann in der 6. Klasse 1,52 mit 10 multipliziere und eine 0 dranhänge, komme ich nicht weiter. Dann sage ich einfach: Wir verschieben das Komma. Und das ist der nächste Denkfehler, weil sich Kommas nicht verschieben. Wenn man sich nämlich einmal die Stellenwerttafel anschaut, dann bleibt das Komma immer an der gleichen Stelle. Was sich verschiebt, sind die Stellenwerte. Ich habe jetzt zehn Einer und dann schreibe ich die 1 nicht in die Einer- sondern in die Zehner-Spalte. Wenn ich in der 2. Klasse die Grundlagen für dieses Stellenwertverständnis herstelle und mit der Stellenwerttafel arbeite, dann kann damit später weitergelernt werden. Wenn ich stattdessen nur durch einen Rechentrick zum richtigen Ergebnis komme, wird die eigentliche Lerngelegenheit übersprungen. Dass wir mit der wohlgemeinten Unterstützung durch den Rechentrick „Null anhängen“ die eigentliche Lerngelegenheit „weg-unterstützen“, muss uns bewusst werden. Was in der eigenen Stunde als gelungen erscheint, kann für die Lehrkraft, die in der anschließenden Klassenstufe unterrichtet, eine zusätzliche Herausforderung beim Anschluss mit sich bringen. In QuaMath arbeiten wir gemeinsam mit Multiplizierenden und Lehrkräften an genau diesen Stellen – über die Schuljahre und Schulstufen hinweg.

Bild: Gestaltung der Icons: Stan Hema, Berlin 2017/2018

Lars Holzäpfel

Professor für Didaktik der Mathematik am Institut für Mathematische Bildung der Pädagogischen Hochschule FreiburgGute Materialien sind eine wichtige Unterstützung für den Unterricht

Können an dieser Stelle nicht die Unterrichtsmaterialien oder die Schulbücher hilfreich sein und den richtigen Lernweg aufzeigen?

Lars Holzäpfel: Wenn gutes Material zur Verfügung steht, dann ist das auch für die Lehrkräfte eine wichtige Unterstützung. Aktuell haben wir allerdings eine Materialflut, die völlig unkontrolliert auch im Internet zur Verfügung steht. Da gibt es hervorragende Dinge, aber man muss lernen, kritisch hinzuschauen. Die Schwierigkeit dabei ist, die qualitätsvollen Materialien zu identifizieren und auszuwählen. In QuaMath unterstützen wir Lehrkräfte dabei, kriteriengeleitet Materialien und Schülerbücher auswählen zu können und gleichzeitig entwickeln wir auch zahlreiche Unterrichtsmaterialien, die die Lehrkräfte dann in ihrem eigenen Unterricht einsetzen können. Viele solcher Materialien stehen im Kontext des DZLM als open source zur Verfügung; das ist unser Anspruch. Jede Lehrkraft kann darauf zugreifen.
 

Und wie erkenne ich als Lehrkraft, ob es ein gutes oder ein schlechtes Material oder Mathematikbuch ist?

Lars Holzäpfel: Man kann sich Expertenrat einholen. Ich denke oft: Warum fragt ihr uns nicht? Wir beschäftigen uns den ganzen Tag mit solchen Fragen und könnten da auch gut weiterhelfen. Zur Unterstützung des Materialeinsatzes haben wir auf verschiedenen Plattformen im Rahmen des DZLM mittlerweile auch eine ganze Reihe von Lehrkräftehandreichungen, sogar in Form didaktischer Erklärvideos für Lehrkräfte, erstellt. Das kann man nutzen, um sich die wichtigen Hintergrundinformationen und auch Erkenntnisse aus der Forschung anzueignen. Eine unkomplizierte Möglichkeit wäre, sich mit den 5 QuaMath-Prinzipien einen ersten Einblick in Qualitätsaspekte zu verschaffen – dazu kann man sich auf der QuaMath-Website Erklärvideos anschauen.
 

In QuaMath werden die Schulen in Netzwerken begleitet. Sie nehmen im ersten Jahr an einem Basismodul teil und wählen dann Inhalts- und Vertiefungsmodule für das zweite Jahr aus. Wie viele Lehrkräfte können Sie damit erreichen?

Lars Holzäpfel: Wir haben jetzt im zweiten Jahr bereits zweieinhalbtausend Schulen im Programm, deutlich mehr als erwartet. Von den Schulen selbst nehmen jeweils zwei bis vier Lehrkräfte an den Netzwerk-Fortbildungen teil, die dann dieses Wissen in ihren Schulteams weitervermitteln. Das ist schon jetzt eine große Reichweite.
 

Und der nächste IQB-Bildungstrend könnte dann den Erfolg belegen?

Lars Holzäpfel: Das ist schwierig, weil man die QuaMath-Schulen separat auslesen müsste. Das geht allein schon aus Datenschutzgründen nicht so ohne weiters. Selbst dann bleibt das Ergebnis vage, denn dabei gibt es zahlreiche konfundierende Variablen, durch die es dann schwer wird, auf Kausalitäten zu schließen.
 

Könnte denn noch mehr unternommen werden?

Lars Holzäpfel: Klar, es kann immer mehr geschehen. Ein Problem ist, dass wir die Lehrkräfte nur punktuell erreichen. Für Lehrkräfte ist nur eine recht geringe Fortbildungszeit pro Schuljahr vorgesehen, wenn man das in Relation setzt zu anderen vergleichbaren. Wir dürfen die Qualifizierungs-Veranstaltungen nur von 14 bis 17 Uhr anbieten; auch nur während der Schulzeit, die Ferien fallen also raus. Und wir dürfen keine Abend- oder Ganztagsveranstaltungen anbieten. Einige Netzwerke kämpfen bereits dafür, zumindest den ersten Fortbildungstag als Ganztag gestalten zu dürfen. Allein das erleichtert es den teilnehmenden Lehrkräften, sich besser auf die Fortbildung einzulassen, als am Nachmittag nach sechs Stunden Unterricht – dort, wo das bereits gelingt, wird das sehr positiv rückgemeldet.

Rund 50 Prozent der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler sagen, dass sie kein Interesse an Mathematik haben. Auch viele Erwachsene kokettieren damit, keine Mathe-Leuchte in der Schule gewesen zu sein. Woher kommt diese Ablehnung dieses eigentlich doch spannenden Fachs?

Lars Holzäpfel: Ich denke, dass eine Wurzel für das schlechte Image des Fachs Mathematik auch darin liegt, dass man in der eigenen Schulzeit völlig sinnentleert irgendwelche Buchstaben hin und her geschoben hat oder verschiedene Graphen zeichnen sollte, ohne zu wissen, was man da eigentlich tut. Vielmehr müsste man sich überlegen, was mathematisches Denken eigentlich bedeutet. Das kann ich nämlich nicht nur für die berufliche Zukunft, sondern auch für das alltägliche Leben als mehr oder weniger sinnstiftend erleben. Ein schönes Beispiel für mich ist an dieser Stelle die Demokratiebildung: Wenn wir über Wahlprogramme oder politische Entscheidungen diskutieren, geht das eigentlich gar nicht ohne ein mathematisches Grundverständnis, weil wir vieles davon gar nicht verstehen würden. Da wird zum Beispiel auf der Grundlage von Daten prognostiziert, oder es geht darum, Statistiken zu interpretieren. Wenn über Schulden und Investitionen diskutiert wird, dann muss ich große Zahlen einordnen können. Wie groß ist der Unterschied zwischen Millionen und Milliarden? Oder wenn Sie die Zeit der Corona-Pandemie nehmen – wer hat denn damals bei der Diskussion um die Entscheidungen über Maßnahmen zum Beispiel den viel diskutierten R-Wert verstanden? Diese grundlegenden Verständnisfragen werden zu wenig in den Fokus genommen. Aber klar ist auch: Ganz grundlegende Rechenfertigkeiten dürfen wir auch nicht aus dem Blick verlieren.

Handlungsorientierter Mathematikunterricht - Ein Konzept für mehr Motivation und Erfolg ab Klasse 9 - Buch mit Material über Webcode

Handlungsorientierter Mathematikunterricht

Ein Konzept für mehr Motivation und Erfolg ab Klasse 9

Buch mit Material über Webcode
Porträt von Lars Holzäpfel
Bild: Prof. Dr. Lars Holzäpfel

 Zur Person

Dr. Lars Holzäpfel ist Professor für Didaktik der Mathematik am Institut für Mathematische Bildung der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Er gehört der erweiterten Leitung von „QuaMath – Unterrichts- und Fortbildungs-Qualität in Mathematik entwickeln an. QuaMath ist ein Programm des Deutschen Zentrums für Lehrkräftebildung Mathematik (DZLM) am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN), gefördert von der Kultusministerkonferenz (KMK). 

Lars Holzäpfel war außerdem am Projekt „MaCo – Mathematik aufholen nach Corona“ beteiligt. Er ist Mitautor der Schulbuchreihe Mathewerkstatt des Cornelsen Verlags und im Mitherausgeber der Zeitschrift mathematik lehren.

Schlagworte:

14.11.2025
Warum das Churermodell allen Schülerinnen und Schülern gerecht werden will
„Ich kann die Kinder viel individueller begleiten“
Kinder verbringen einen großen Teil ihres Tages in der Schule – Lehrkräfte ebenfalls. Sollten Schulen daher nicht nur Lernorte, sondern auch Lebensorte sein? Genau das verspricht das Churermodell. Ausgangspunkt ist ein neu gestalteter Klassenraum, in dem es keinen Frontalunterricht mehr gibt. Hinzu ...
20.10.2025
Sprechhemmungen im DaZ-Unterricht überwinden
Claudia Böschel über gehirneffizientes Lehren, bewegtes Lernen und die Wertschätzung der Muttersprachen
Unterschiedliche Bildungshintergründe, verschiedene Lernstände und sehr individuelle Lebenserfahrungen sind im DaZ-Unterricht ein Hemmnis für die mündliche Kommunikation. Doch Sprechen ist entscheidend für das Lernen einer Fremdsprache. Wie also kann es gelingen, die Schülerinnen und Schüler im DaZ-...
15.10.2025
Mündlichkeit im DaF-Unterricht: Warum Sprechen im KI-Zeitalter wichtiger ist denn je
Hermann Funk über KI, Lehrwerke und die Zukunft des mündlichen Lernens im Deutsch als Fremdsprache-Unterricht
Seit dem wachsenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Bildungsbereich wird heftig über die Entwicklung des Sprachenlernens diskutiert. Da wird etwa darüber spekuliert, ob der Fremdsprachenunterricht nicht komplett abgeschafft werden sollte, weil die KI ohnehin alle Übersetzungsaufgaben übernimm...
08.09.2025
Wie Grundschulen mit Verhaltensauffälligkeiten umgehen können
Eine Klasse aufbauen, die sozial stark ist
Verhaltensauffälligkeiten von Schülerinnen und Schüler, so das Ergebnis des aktuellen Schulbarometers der Robert Bosch Stiftung, stellen für Lehrkräfte ein großes Problem dar und gehören zu den Hauptbelastungen im Schulalltag. Gründe für den Anstieg an Verhaltensauffälligkeiten gibt es viele. Wir wo...