Grundschule / 13.02.2023

Sprechschwingen, Weiterschwingen und Ableiten

Wie Kinder in der Grundschule die Rechtschreibung lernen

Neben dem Lesen- und Schreibenlernen steht auch die Beherrschung der Rechtschreibung auf dem Stundenplan der Grundschule. Wege zu diesem Ziel gibt es verschiedene. Doch welcher ist wirklich erfolgreich? Und wie kann die Rechtschreibung vom ersten Schultag an trainiert werden? Mit der FRESCH-Methode, sagt die Lerntherapeutin Renate Preiß, die in der großen FRESCH-Werkstatt den Lehrkräften die passenden Materialien zur Verfügung stellt und in der Begleitbroschüre die praktische Umsetzung im Schulalltag beschreibt.

Junge im grünen T-Shirt sitzt an seinem Schreibtisch und lernt schreiben
Bild: Shutterstock.com/OlgaKhorkova

Die FRESCH-Methode

FRESCH (Freiburger Rechtschreibschule) war ursprünglich eine Methode zur Förderung von Kindern mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten, die von Heide Buschmann und Günter J. Renk an der Schulpsychologischen Beratungsstelle Waldshut entwickelt wurde. Ziel der FRESCH-Methode ist das synchrone Zusammenspiel von Sprache und Bewegung (Sprechschwingen), das die Integration von visueller und auditiver Wahrnehmung fördert. Mittlerweile lernen Kinder an vielen Schulen im deutschsprachigen Raum Lesen und Schreiben mit FRESCH.

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Interview mit Renate Preiß

Frau Preiß, mit der FRESCH Methode sollen möglichst alle Grundschulkinder fit in der Rechtschreibung werden. Das klingt gut, aber wie funktioniert das?

Renate Preiß: Das Elementare ist, dass die Bewegung mit der Sprache gekoppelt wird. Diese Gleichzeitigkeit, mehrere Sinne zu beteiligen, ist der Grundgedanke. In der ersten Klasse fangen wir deshalb mit großen motorischen Bewegungen an. Wir beginnen gemeinsam im Chor. Dabei ist es wichtig, dass die Kinder meine deutliche Aussprache und das richtige Durchgliedern der Wörter in der Sprachmelodie hören. Mit großen Schwingbewegungen im Raum machen wir pro Silbe einen Schritt von links nach rechts und nehmen die Schwungbewegungen der Schreibhand mit und laufen so Wörter durchs Klassenzimmer. Die Bewegungen werden dann immer kleiner: am Platz mit Schwungbögen, nur mit den Fingern und dann irgendwann mit dem Bleistift unter den Wörtern. Dann erst kommt das Schreiben dazu.
 

Das klingt sehr turbulent.

Renate Preiß:  Das ist es auch. Aber Ich teile die Klasse in der Regel in zwei Gruppen und trainiere dann nur mit der einen Hälfte. Ich arbeite an meiner Schule mit allen Klassen, also insgesamt mit ca. 300 Kindern, und habe die Erfahrung gemacht, dass es sinnvoll ist, die Klasse in eine schwächere und eine stärkere Gruppe einzuteilen, weil ich dann allen besser gerecht werden kann. Die schwächeren Schülerinnen und Schüler bekommen die kürzeren Wörter, weil sie die Merkfähigkeit für lange Schlangenwörter noch nicht besitzen. Sie sind dann nicht gestresst oder frustriert, sondern haben Erfolge und auch die Stärkeren können in ihrem Tempo arbeiten. Aber unsere Klassenlehrerinnen arbeiten auch mit allen 27 Erstklässlern gemeinsam, alle Kinder laufen dann anfangs schwingend durch die Klasse. Das ist schon turbulent, aber man weiß ja auch, dass Bewegung das Lernen unterstützt.
 

Wann wechseln die Kinder vom reinen Sprechschwingen zum Sprechschreiben?

Renate Preiß: Ich fange mit Simsalabimwörtern an, das heißt mit wahllos zusammengesetzten Silben. Das können die Kinder schon sehr schnell. Ich habe mit den Erstklässlern bereits kurz vor den Weihnachtsferien begonnen, kleine Simsalabimwörter zu schreiben. Das funktioniert sehr gut und je nachdem, welche Buchstaben die Kinder bereits gelernt haben, können sie das Sprechschreiben üben. Erst dann beginnen die Stationen der FRESCH-Werkstatt.
 

Nach den Simsalabimwörtern folgen dann die ersten lautgetreuen Wörter?

Renate Preiß: Ja, im fortgeschrittenen Lese- Schreibprozess lernen die Kinder die Besonderheiten des lautgetreuen Bereichs wie etwa Doppelkonsonanten und üben dann mit kurzen oder längeren Wörterstreifen. Die Wörter werden zunächst gelesen, dann werden die Karten umgedreht und erst dann beginnt das Sprechschreiben. Es ist wichtig, dass die Kinder auswendig sprechen und schreiben und nicht die Buchstaben abmalen. Und am Ende des zweiten Schuljahres beginnt das selbstständige Arbeiten in der Werkstatt. Ich benutze die Wörterstreifen des lautgetreuen Bereiches allerdings von Anfang an. Es wäre schade, wenn die Kinder erst in der dritten Klasse mit dem Material beginnen würden. Denn im fortgeschrittenen Stadium des Sprechschreibens werden die Kinder nur noch murmeln oder die Playbacksprache nutzen – also nur noch die Lippen bewegen.

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In Ihren Unterrichtsmaterialien gibt es verschiedene Wortstreifen, beziehungsweise verschiedene Stationen in der Werkstatt. Was steckt dahinter?

Renate Preiß: Meine Werkstatt besteht aus sieben Stationen. Da rund die Hälfte der Wörter des Schulwortschatzes lautgetreu geschrieben werden, ist es wichtig, dem lautgetreuen Bereich im Schriftspracherwerb eine tragende Rolle zu verleihen. In den ersten beiden Stationen, dem Sprechschwingen und Sprechschreiben, sind daher alle Wörter lautgetreu und in sieben Besonderheiten unterteilt In den weiteren Stationen geht es um die Strategien des Weiterschwingens und Ableitens. Hier können die Kinder Fehlerbewusstsein entwickeln und vermeiden so mögliche Fehler. Es bleibt danach nur ein kleiner Teil an Merkwörtern, der wie Vokabeln erlernt werden muss. Die Station Merken befasst sich mit diesem Thema. In den letzten beiden Stationen werden noch die Großschreibung und das Arbeiten am Text trainiert. Jede Station besteht aus mehreren Übungseinheiten. Ich habe die Wörterlisten zu Wortstreifen zerschnitten und alle Arbeitsblätter der Stationen in meinem Unterrichtsraum nach Farben und Nummern in Plastikschubfächer sortiert. Man kann aber auch Ordner nutzen oder ein anderes Aufbewahrungssystem.
 

Das klingt aufwendig.

Renate Preiß: Ja, wenn man mit der Werkstatt beginnt, muss man erstmal Zeit investieren.  Aber das muss man nur einmal tun und kann die Materialien dann immer wieder nutzen. Diese einmalige Vorbereitung macht sich später also bezahlt, denn so hat man Zeit für die Kinder und muss nicht immer wieder irgendetwas zusammenstellen.
 

Und diese Unterrichtsmaterialien findet man alle in Ihrer Broschüre?

Renate Preiß: Nein, in der Broschüre habe ich aufgeschrieben, wie ich die Methode praktisch im Schulalltag anwende und gebe den Lehrkräften Informationen, wie sie die Materialien einsetzen können. Zusätzlich gibt es die Wörterlisten, die zu den Wörterstreifen zerschnitten werden sollen und Arbeitsblätter. Die Laufzettel und Pläne für jede Schülerin und jeden Schüler können die Lehrkräfte per Code von der Website herunterladen und ausdrucken. Die einzelnen Stationen und Materialien sind ganz klar farblich sortiert, um den Kindern das selbständige Arbeiten zu erleichtern.

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Was empfehlen Sie Lehrkräften, die zum ersten Mal mit dieser Methode arbeiten?

Renate Preiß: Ich empfehle, eine Schulung zu besuchen oder sich zumindest vertiefend in diese Methode einzulesen, etwa mit den Büchern von Günter J. Renk. Leider stelle ich immer wieder fest, dass selbst in Schulbüchern die Symbole der FRESCH-Methode falsch genutzt werden. Ein Ableitungszeichen über dem Wort „Käfig“ ergibt beispielsweise keinen Sinn, weil es sich hier nicht um eine Ableitung handelt, sondern um ein Merkwort. Auch die lautgetreuen Wörter müssen korrekt ausgesucht werden und dürfen zum Beispiel kein „Geister-H“ enthalten. Und die schwachen Rechtschreiber benötigen erst einmal viele lautgetreue Wörter, um sicher zu werden.
 

Wie sind Sie selbst auf diese Methode gestoßen?

Renate Preiß: Ich habe Schulungen bei Günter J. Renk, dem Mitbegründer der FRESCH Methode, besucht und hatte auch in meinem Studium damit zu tun. Mich begeistert die Einfachheit der Methode, sie führt schnell zum Erfolg, wenn man die Kinder dort abholt, wo sie stehen und sie in ihrem eigenen Tempo arbeiten lässt.
 

Wie oft sollten die Kinder mit dieser Methode üben?

Renate Preiß: Eine Lehrkraft wird schnell große Erfolge sehen und erleben, dass die Kinder tatsächlich Spaß an der Rechtschreibung haben. Dazu genügt eine Stunde wöchentlich mit dem FRESCH-Werkstatt-Konzept. Während die eine Hälfte der Klasse mit der Methode trainiert, könnte die andere Hälfte eine Lesezeit einlegen und in einer weiteren Stunde wäre dann der Wechsel der Gruppen. Wichtig ist die Kontinuität, schließlich greift die Methode den Unterrichtsstoff auf und bringt so auch dem Deutschunterricht viel.

 

Zur Person
Renate Preiß ist pädagogisch-psychologische Lerntherapeutin und arbeitet an einer Grundschule in Baden-Württemberg. Im März erscheint beim Cornelsen Verlag Die große FRESCH-Werkstatt, die sie in Zusammenarbeit mit Günter J. Renk entwickelt hat.

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