Unterrichtsstörungen – Nicht gleich zu hart einsteigen
Lehrkräfte können sich mit vielfältigen Methoden gegen Unterrichtsstörungen behaupten
Vom heimlich genutzten Handy bis hin zur verletzenden Beleidigungen von Mitschüler/-innen – die Palette, wie Schülerinnen und Schüler den Unterricht stören und Regeln brechen können, ist groß. Kein Unterricht geht ohne Störungen über die Bühne, und für viele Lehrkräfte sind diese ein andauernder Stressfaktor, der die Nerven strapaziert. Ganz zu schweigen von Vertretungsstunden und den Pausenaufsichten. Wie geht man praktisch im Alltag damit um?

In Studium und Referendariat sind Diskussionen oder sogar praktische Übungen dazu viel seltener, als viele Lehrerinnen und Lehrer sich das wünschen. Dabei braucht es Erfahrung und Engagement, um souverän mit aufsässigen und angriffslustigen Kindern und Jugendlichen umzugehen. Rudi Rhode, Soziologe und Schauspieler, der mehrere Bücher zum Thema geschrieben hat, empfiehlt, sich viele mögliche Reaktionsweisen und Methoden anzueignen – um dann individuell reagieren und auch experimentieren zu können. Dabei sollten Pädagogen eine große Bandbreite anstreben: von niedrigschwelligen Anmerkungen, die schon vorbeugend eine Situation entschärfen und deeskalierend wirken, bis hin zur Durchsetzung von Konsequenzen, wenn sich eine harte Konfrontation nicht mehr vermeiden lässt.
Jede Regelverletzung ist ein Signal
Dabei kann es hilfreich sein, sich vor Augen zu führen, wie vielfältig die Ursachen sind, die Schüler zu kleinen Rebellen oder harten Störern werden lassen. Familiäre Probleme oder schwierige Phasen in der eigenen Entwicklung sind nur zwei Beispiele. Und Schüler senden mit Störungen und Regelverletzungen auch Signale, die für Lehrer wertvoll sein können – darauf weist die Pädagogin Karla Trimborn hin, die an der Pädagogischen Hochschule Freiburg zum Thema Unterrichtsstörungen unterrichtete. Zum Beispiel, dass ihnen der Unterricht zu langweilig ist, dass sie gerade ganz andere, wichtige Probleme in ihrem Leben haben oder den Sinn des Unterrichts nicht erkennen.
Die breite Aktivierung der Klasse, ein guter Unterrichtsfluss und vielfältige Unterrichtsmethoden sieht auch Jacob Kounin als gute Bausteine zur Prävention von ernsten Störungen. Der US-Forscher hat mit seinen Ideen für ein gutes Klassenmanagement, in dem Unterrichtsstörungen nicht zum gravierenden Problem werden, in den 1970er-Jahren Wellen geschlagen
Die Hoffnung, etwa mit guten Unterrichtsmethoden und aktiver Mitarbeit die Störungen in den Griff zu bekommen, sei auch heute in Studienseminaren verbreitet, meint der Soziologe und Dozent Rudi Rhode. Dabei brauche es dafür deutlich mehr.
Ein Mittel: präventive Deeskalation
Wer gleich „hoch“ in eine Auseinandersetzung einsteigt, auf seine höhere Hierarchieebene pocht und Konsequenzen androht, der vergibt sich viele Chancen. Wer hingegen damit beginnt, präventiv zu deeskalieren, hat gute Aussichten, die Situation zu glätten, bevor die Stimmung aggressiv wird. Dem Schüler wertschätzend zu begegnen, in freundlichem offenen Ton mit ihm zu sprechen, ihn nicht vor der ganzen Klasse bloßzustellen und nicht von höherer Hierarchieebene auf ihn herabzublicken – das sind, in Kurzform, einige Empfehlungen von Rhode. Löst sich die Situation so nicht, kann man durch Beharrlichkeit und klare, aber freundliche Ansagen eine Stufe höher gehen.
Natürlich lassen sich auch härtere Konfrontationen im Schulalltag nicht vermeiden. Aber Rhode rät auch dann zu einem mehrstufigen Verhalten, das immer Seitenwege vorsieht und Türen offen lässt. Dem Schüler zu helfen, sein Gesicht vor der Klasse zu wahren und ihm die Wahl zu lassen zwischen Einlenken und Bestrafung, ist ein Weg. Sich mit einem Schüler, der sich immer mehr hineinsteigert und verrennt, auf ein ruhiges Gespräch nach der Stunde zu verabreden, ist ein anderer.
Egal, wie sich eine Situation entwickelt, Rhode hat eine Empfehlung aus seiner Schauspielerfahrung parat: Lehrer sollten sich in Gesprächen mit störenden, die Regeln verletzenden Schülern nicht persönlich angegriffen fühlen und sich – trotz vielleicht schon blank liegender Nerven – ganz bewusst in die Rolle eines neutral-sachlichen Regeldurchsetzers begeben. Ganz nach dem Vorbild eines guten Schiedsrichters.
Unterrichtsstörungen: Vier Beispiele, vier Tipps
Jeder Lehrer kennt Situationen, in denen er sich gegenüber störenden Schülern im Unterricht oder undisziplinierten Jugendlichen auf dem Pausenhof durchsetzen muss. Wir haben vier Beispiele ausgewählt und Gert Lohmann nach seiner Einschätzung gefragt. Er kennt sich bestens aus mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten. Lohmann gibt dazu Seminare in Schulen und Universitäten, und er unterrichtet selbst an einem Gymnasium. Für Cornelsen hat er die Bücher „Mit Schülern klarkommen“ und „Mit Grundschülern klarkommen“ geschrieben.
Beispiel 1: Handynutzung
Frau Marthaler, die Klassenlehrerin, kennt das zur Genüge: Im Deutschunterricht ist Gruppenarbeit angesagt, aber Jonas (15) klinkt sich aus, wie fast immer. Er spielt unter dem Tisch Games auf seinem Handy. Er kann sich schwer konzentrieren, wird schnell unruhig und reagiert aufbrausend und aufmüpfig, wenn man ihn ermahnt. Bittet man ihn, das Handy wegzulegen und mitzuarbeiten, geht das nie ohne lange Diskussionen.
Gert Lohmann: Es gibt wohl keine Schule, in der die Handynutzung nicht untersagt oder zumindest auf ausgewiesene Handyzonen begrenzt ist. Hier braucht es also keine Diskussionen, das Handy wird einkassiert und in Obhut genommen. Spätestens wenn der Schultag zu Ende ist, muss der Schüler es dann wieder zurückerhalten.
Das Ganze geschieht am besten in einem sachlichen Ton, beginnend mit einer freundlichen, aber klaren Aufforderung, das Handy herauszugeben. Kommt der Schüler dieser Aufforderung auch nach wiederholter Ermahnung nicht nach, dürfen Lehrer auf keinen Fall handgreiflich werden. Wenn man verbal nichts erreicht, kann man zur Jahrgangsleitung oder zum Direktor gehen oder die Eltern anrufen. Während des Unterrichts sollte man sich nicht auf Diskussionen einlassen, gegebenenfalls klärt man es nach dem Unterricht mit dem Schüler.
Beispiel 2: Schneeballschlacht auf dem Pausenhof
Herr Blaschkowitz unterrichtet an einer Grundschule. Heute hat er die Pausenaufsicht. Es hat geschneit und eine kleine Gruppe Drittklässlerinnen spielt im frischen Schnee. Ella hat es faustdick hinter den Ohren, sie ist selbst nicht wehleidig und erwartet das auch von ihren Freundinnen. Ihre Schneebälle fliegen daher ganz schön hart durch den Hof und ihre Freundinnen wollen nicht kneifen, zucken aber immer wieder sichtbar zusammen.
Gert Lohmann: Das Werfen von Schneebällen ist in jeder Schule verboten, schon aus Versicherungsgründen. Das Risiko, dass – unabsichtlich – ein Steinchen jemanden verletzt, ist zu groß. Aber natürlich sind alle Schüler begeistert, wenn es kräftig schneit und die Pausenklingel läutet. Ich würde Ella freundlich auffordern, sofort damit aufzuhören. Dabei spielt es für mich gar keine so große Rolle, ob ich sie kenne oder nicht. Auch das Alter ist nicht so relevant. Wichtiger ist es, präsent zu sein und zu einer guten Einschätzung zu kommen, wie sie reagiert. Lenkt sie rasch ein, oder ist sie „auf Krawall gebürstet“? Meist beginne ich, gerade bei Jungen, auf eine jeweils angemessene „kumpelige“ Art. Wenn das nicht reicht, werde ich formal, und das wirkt fast immer.
Beispiel 3: Vertretungstunde
Frau Ratthey kann sich Schöneres vorstellen als eine Vertretungsstunde in einer fremden Klasse, noch dazu in einer achten Klasse, die für ihre Unruhe bekannt ist. Anfangs läuft es ganz gut und sie kommt sogar mit dem vorgesehenen Stoff voran. Doch dann nimmt sie Sandra an die Reihe und merkt schnell, dass sie große Schwierigkeiten hat mit dem Antworten. Es dauert nicht lange, bis ein Junge laut dazwischengeht: „Ey, du Opfer! Wegen dir langweilen wir uns schon wieder. Du packst es doch sowieso nicht.“
Gert Lohmann: Da wird eindeutig eine Grenze überschritten, das geht gar nicht. Ich würde direkt den Unterricht unterbrechen. Auch in einer Vertretungsstunde, das macht für mich keinen Unterschied. Hier muss man ein Stopp-Signal setzen und über das Thema „Respektvoller Umgang“ reden, zusammen mit der Klasse. Die Frage „Ist das jetzt das erste Mal oder kommt das öfters vor?“ finde ich dabei wichtig, um die Situation einzuschätzen. Man sollte auch klar darstellen, was passiert, wenn es noch mal vorkommt. Zum Beispiel, dass dann die Beleidigung vor der ganzen Klasse auch vor der ganzen Klasse wiedergutgemacht wird, indem der Schüler sich öffentlich entschuldigt.
Beispiel 4: Unruhe
Herr Johannsen unterrichtet Mathematik in einer achten Klasse, in der ständig eine diffuse Unruhe herrscht. Mehrere Schüler unterhalten sich leise nebenbei. Andere kritzeln unaufmerksam in ihren Block. Er spürt eine schwer zu konkretisierende, unterschwellige Abwehrhaltung von gut einem Drittel der Schüler.
Gert Lohmann: Probleme, die die ganze Klasse betreffen und nicht einzelne Schüler, sind schwieriger anzupacken. Zwar ist man als Lehrer natürlich weisungsbefugt und hierarchisch überlegen. Aber, machen wir uns nichts vor, eine widerspenstige Gruppe von Schülern kann den Unterricht aushebeln. In der beschriebenen Situation würde ich einen klaren Schnitt machen, im fachlichen Unterricht pausieren und das Problem offen zur Sprache bringen. Ich würde die Schüler zum Beispiel fragen, ob es am Stoff liegt, an meiner Art, ihn zu vermitteln, oder ob es andere Gründe für die Unruhe und fortdauernden kleinen Störungen gibt. Mit einem offenen Austausch hierüber ist schon viel erreicht.
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Schwierige Schüler/-innen – und wie man sie führt
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