Konfliktmanagement / 22.06.2018

Unterrichtsstörungen – Nicht gleich zu hart einsteigen

Lehrkräfte können sich mit vielfältigen Methoden gegen Unterrichtsstörungen behaupten

Vom heimlich genutzten Handy bis hin zur verletzenden Beleidigungen von Mitschüler/-innen – die Palette, wie Schülerinnen und Schüler den Unterricht stören und Regeln brechen können, ist groß. Kein Unterricht geht ohne Störungen über die Bühne, und für viele Lehrkräfte sind diese ein andauernder Stressfaktor, der die Nerven strapaziert. Ganz zu schweigen von Vertretungsstunden und den Pausenaufsichten. Wie geht man praktisch im Alltag damit um? 

Schülerin und Schüler lachen hinter dem Rücken der Lehrerin
Bild: stock.adobe.com/contrastwerkstatt

In Studium und Referendariat sind Diskussionen oder sogar praktische Übungen dazu viel seltener, als viele Lehrerinnen und Lehrer sich das wünschen. Dabei braucht es Erfahrung und Engagement, um souverän mit aufsässigen und angriffslustigen Kindern und Jugendlichen umzugehen. Rudi Rhode, Soziologe und Schauspieler, der mehrere Bücher zum Thema geschrieben hat, empfiehlt, sich viele mögliche Reaktionsweisen und Methoden anzueignen – um dann individuell reagieren und auch experimentieren zu können. Dabei sollten Pädagoginnen und Pädagogen eine große Bandbreite anstreben: von niedrigschwelligen Anmerkungen, die schon vorbeugend eine Situation entschärfen und deeskalierend wirken, bis hin zur Durchsetzung von Konsequenzen, wenn sich eine harte Konfrontation nicht mehr vermeiden lässt.

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Jede Regelverletzung ist ein Signal

Dabei kann es hilfreich sein, sich vor Augen zu führen, wie vielfältig die Ursachen sind, die Schülerinnen und Schüler zu kleinen Rebellen oder harten Störern werden lassen. Familiäre Probleme oder schwierige Phasen in der eigenen Entwicklung sind nur zwei Beispiele. Fragen Sie doch einfach die Schüler/-innen nach den Gründen für die Unruhe. Oft werden sie präzise Antworten parat haben. Sollten besondere Belastungen wie Hitze, vorangegangene oder kommende Klassenarbeiten als Gründe genannt werden, dann können Sie Ihren Unterricht auf diese Klassensituation einstellen. Bei Streit oder besonderen Vorkommnissen kann es durchaus sinnvoll sein, auf die Sorgen der Schülerinnen und Schüler einzugehen, statt unbeirrt den Unterricht fortzusetzen.

Seien Sie außerdem selbstkritisch bei Disziplinproblemen und fragen Sie sich, ob Ihr Unterricht spannend und angemessen fordernd ist. Langeweile, Unter- oder Überforderung sind häufig Ursachen für Unruhe und Unterrichtsstörungen. Je mehr Freude die Schülerinnen und Schüler an Ihrem Unterricht haben, desto weniger Energie werden sie für Störungen aufwenden.

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Prävention

Am besten ist es natürlich, Störungen im Vorfeld zu verhindern. Anspannung und eine gereizte Atmosphäre führen häufig zu Verhaltensproblemen und Unruhe im Klassenraum. Es ist eher kontraproduktiv, diesen mit disziplinarischer Härte zu begegnen. Spüren Sie also, dass Konzentration und Lernwille nachlassen und Widerstände und Aggressionen sich steigern, dann greifen Sie besser zu einem anderen probaten Mittel: zur Entspannung. Legen Sie Entspannungsminuten ein, in denen die Schülerinnen und Schüler bewusst ein- und ausatmen und ihre Muskeln entspannen. Nach langen und bewegungsarmen Konzentrationsphasen können die Schülerinnen und Schüler außerdem eine Bewegungszeit im Klassenraum einlegen. Auch wenn Sie vielleicht zunächst meinen, mit diesen Übungen ginge wichtige Lern- und Unterrichtszeit verloren, ist eher das Gegenteil der Fall: Entspannung und Bewegung sorgen dafür, dass die Schülerinnen und Schüler anschließend ruhiger und aufnahmefähiger sind.

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Ein Mittel: präventive Deeskalation

Wer gleich „hoch“ in eine Auseinandersetzung einsteigt, auf seine höhere Hierarchieebene pocht und Konsequenzen androht, der vergibt sich viele Chancen. Wer hingegen damit beginnt, präventiv zu deeskalieren, hat gute Aussichten, die Situation zu glätten, bevor die Stimmung aggressiv wird. Dem Schüler oder der Schülerin wertschätzend zu begegnen, in freundlichem offenen Ton zu sprechen, ihn/sie nicht vor der ganzen Klasse bloßzustellen und nicht von höherer Hierarchieebene herabzublicken – das sind, in Kurzform, einige Empfehlungen von Rhode. Löst sich die Situation so nicht, kann man durch Beharrlichkeit und klare, aber freundliche Ansagen eine Stufe höher gehen.

Natürlich lassen sich auch härtere Konfrontationen im Schulalltag nicht vermeiden. Aber Rhode rät auch dann zu einem mehrstufigen Verhalten, das immer Seitenwege vorsieht und Türen offen lässt. Dem Schüler zu helfen, sein Gesicht vor der Klasse zu wahren und ihm die Wahl zu lassen zwischen Einlenken und Bestrafung, ist ein Weg. Sich mit einem Schüler, der sich immer mehr hineinsteigert und verrennt, auf ein ruhiges Gespräch nach der Stunde zu verabreden, ist ein anderer. 

Egal, wie sich eine Situation entwickelt, Rhode hat eine Empfehlung aus seiner Schauspielerfahrung parat: Lehrkräfte sollten sich in Gesprächen mit störenden, die Regeln verletzenden Schüler/-innen nicht persönlich angegriffen fühlen und sich – trotz vielleicht schon blank liegender Nerven – ganz bewusst in die Rolle eines neutral-sachlichen Regeldurchsetzers begeben. Ganz nach dem Vorbild eines guten Schiedsrichters.

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Interview mit Rudi Rhode

Herr Rhode, Sie bilden seit rund 15 Jahren Lehrkräfte fort. Wie haben sich in punkto Unterrichtsstörungen die Probleme verändert, mit denen Pädagogen zu Ihnen kommen?

Rudi Rhode: Es gibt immer mehr „harte Fälle“. Damit meine ich Schüler, die schwer zu steuern sind, die sich verweigern, für die es einen langen Atem braucht. Darauf sind Lehrkräfte oft gar nicht vorbereitet. Gleichzeitig nehme ich auch wahr, dass der schnelle Ruf nach klaren Konsequenzen – der früher ganz verbreitet war unter Lehrkräften – viel seltener kommt. Seit einigen Jahren setzt sich mehr und mehr die Einsicht durch, dass Konsequenzen per se nichts verändern. Konsequenzen zu verhängen entbindet die Lehrer ja nicht von der Aufgabe, sich eine persönliche Autorität diesseits der Konsequenzen zu erarbeiten.


Nun ist der Umgang mit Störern in der eigenen Klasse bestimmt einfacher als das Eingreifen während der Schulhofaufsicht, wenn man fremden Schüler/-innen gegenübersteht. 

Rudi Rhode: Oh ja, auch Vertretungsstunden können die Hölle sein. Die größte Schwierigkeit ist, dass die Lehrer keine Beziehung zu den Schülern haben. Über die Beziehungsebene kann man 98 Prozent der Störungen in den Griff kriegen. Aber Beziehung heißt hier nicht unbedingt, dass man die Schüler persönlich kennt. Es bedeutet vielmehr: mit Freundlichkeit zu reagieren, Nähe zu schaffen, nicht hoch einzusteigen, sondern sich auf einer flachen Hierarchieebene zu zeigen. Es macht einen Unterschied, wie ich zum Beispiel die Jugendlichen in der Pause raus aus dem Flur auf dem Hof schicke. Mit „Los, ihr habt hier gar nichts zu suchen. Raus mit euch, aber sofort!“ werde ich weniger erreichen als mit „Leute, ich weiß, es ist heute kalt draußen. Aber ihr wisst doch, dass alle Schüler in den Pausen in den Hof, an die frische Luft, sollen.“. Mit Nähe, einem Einstieg auf flacher Hierarchieebene und einem freundlichen Ton kommt man in 80 bis 90 Prozent der Fälle durch.


Wie viele Regeln brauchen Schulen heute überhaupt? Sie selbst sprechen ja von einer regelrechten „Regelitis“?

Rudi Rhode: Ich treffe oft auf die Ansicht, wenn Dinge in der Schule generell verboten und geregelt sind, sei es leichter für die Lehrer. Das halte ich für eine trügerische Illusion. Ein Beispiel: In nahezu allen Schulleitlinien sind Handys im Unterricht verboten. Die Schüler versuchen es trotzdem immer wieder. Ich bin überzeugt, dass man in Schulen nicht alles einheitlich regeln muss. Warum sollen die Schüler nicht bei einem Lehrer während des Unterrichts Wasser trinken dürfen, während es bei einem anderen nicht geht. Es gibt viel Spielraum für Flexibilität.

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In den Kollegien ist oft die ganze Bandbreite vertreten: von Lehrern, die mit wertschätzender Kommunikation vertraut sind, bis hin zu Lehrkräften „vom alten Schlag“, die gleich hart durchgreifen. Wie kommt man da zu einer guten Zusammenarbeit?

Rudi Rhode: Je größer das Kollegium ist, umso schwieriger ist das natürlich. Wenn das Kollegium sehr groß ist, sollte man sich zunächst an die Jahrgangsstufe halten und in kleineren Gruppen arbeiten. Aber es müssen ja auch gar nicht alle an einem Strang ziehen. Veränderungen im „Spirit“ einer Schule, hin zu einem wertschätzenden Schulklima, die sind schon deutlich zu spüren, wenn die Veränderer zwar nicht zahlenmäßig in der Mehrheit sind, aber qualitativ das Schulleben prägen.

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Unterrichtsstörungen: Vier Beispiele, vier Tipps

Jeder Lehrer kennt Situationen, in denen er sich gegenüber störenden Schüler/-innen im Unterricht oder undisziplinierten Jugendlichen auf dem Pausenhof durchsetzen muss. Wir haben vier Beispiele ausgewählt und Gert Lohmann nach seiner Einschätzung gefragt. Er kennt sich bestens aus mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten. Lohmann gibt dazu Seminare in Schulen und Universitäten, und er unterrichtet selbst an einem Gymnasium. Für Cornelsen hat er die Bücher „Mit Schülern klarkommen“ und „Mit Grundschülern klarkommen“ geschrieben.

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Beispiel 1: Handynutzung

Frau Marthaler, die Klassenlehrerin, kennt das zur Genüge: Im Deutschunterricht ist Gruppenarbeit angesagt, aber Jonas (15) klinkt sich aus, wie fast immer. Er spielt unter dem Tisch Games auf seinem Handy. Er kann sich schwer konzentrieren, wird schnell unruhig und reagiert aufbrausend und aufmüpfig, wenn man ihn ermahnt. Bittet man ihn, das Handy wegzulegen und mitzuarbeiten, geht das nie ohne lange Diskussionen. 

Gert Lohmann: Es gibt wohl keine Schule, in der die Handynutzung nicht untersagt oder zumindest auf ausgewiesene Handyzonen begrenzt ist. Hier braucht es also keine Diskussionen, das Handy wird einkassiert und in Obhut genommen. Spätestens wenn der Schultag zu Ende ist, muss der Schüler es dann wieder zurückerhalten. 

Das Ganze geschieht am besten in einem sachlichen Ton, beginnend mit einer freundlichen, aber klaren Aufforderung, das Handy herauszugeben. Kommt der Schüler dieser Aufforderung auch nach wiederholter Ermahnung nicht nach, dürfen Lehrer auf keinen Fall handgreiflich werden. Wenn man verbal nichts erreicht, kann man zur Jahrgangsleitung oder zum Direktor gehen oder die Eltern anrufen. Während des Unterrichts sollte man sich nicht auf Diskussionen einlassen, gegebenenfalls klärt man es nach dem Unterricht mit dem Schüler.

Beispiel 2: Schneeballschlacht auf dem Pausenhof

Herr Blaschkowitz unterrichtet an einer Grundschule. Heute hat er die Pausenaufsicht. Es hat geschneit und eine kleine Gruppe Drittklässlerinnen spielt im frischen Schnee. Ella hat es faustdick hinter den Ohren, sie ist selbst nicht wehleidig und erwartet das auch von ihren Freundinnen. Ihre Schneebälle fliegen daher ganz schön hart durch den Hof und ihre Freundinnen wollen nicht kneifen, zucken aber immer wieder sichtbar zusammen.

Gert Lohmann: Das Werfen von Schneebällen ist in jeder Schule verboten, schon aus Versicherungsgründen. Das Risiko, dass – unabsichtlich – ein Steinchen jemanden verletzt, ist zu groß. Aber natürlich sind alle Schüler begeistert, wenn es kräftig schneit und die Pausenklingel läutet. Ich würde Ella freundlich auffordern, sofort damit aufzuhören. Dabei spielt es für mich gar keine so große Rolle, ob ich sie kenne oder nicht. Auch das Alter ist nicht so relevant. Wichtiger ist es, präsent zu sein und zu einer guten Einschätzung zu kommen, wie sie reagiert. Lenkt sie rasch ein, oder ist sie „auf Krawall gebürstet“? Meist beginne ich, gerade bei Jungen, auf eine jeweils angemessene „kumpelige“ Art. Wenn das nicht reicht, werde ich formal, und das wirkt fast immer.

Beispiel 3: Vertretungstunde

Frau Ratthey kann sich Schöneres vorstellen als eine Vertretungsstunde in einer fremden Klasse, noch dazu in einer achten Klasse, die für ihre Unruhe bekannt ist. Anfangs läuft es ganz gut und sie kommt sogar mit dem vorgesehenen Stoff voran. Doch dann nimmt sie Sandra an die Reihe und merkt schnell, dass sie große Schwierigkeiten hat mit dem Antworten. Es dauert nicht lange, bis ein Junge laut dazwischengeht: „Ey, du Opfer! Wegen dir langweilen wir uns schon wieder. Du packst es doch sowieso nicht.“ 

Gert Lohmann: Da wird eindeutig eine Grenze überschritten, das geht gar nicht. Ich würde direkt den Unterricht unterbrechen. Auch in einer Vertretungsstunde, das macht für mich keinen Unterschied. Hier muss man ein Stopp-Signal setzen und über das Thema „Respektvoller Umgang“ reden, zusammen mit der Klasse. Die Frage „Ist das jetzt das erste Mal oder kommt das öfters vor?“ finde ich dabei wichtig, um die Situation einzuschätzen. Man sollte auch klar darstellen, was passiert, wenn es noch mal vorkommt. Zum Beispiel, dass dann die Beleidigung vor der ganzen Klasse auch vor der ganzen Klasse wiedergutgemacht wird, indem der Schüler sich öffentlich entschuldigt.

Beispiel 4: Unruhe

Herr Johannsen unterrichtet Mathematik in einer achten Klasse, in der ständig eine diffuse Unruhe herrscht. Mehrere Schüler unterhalten sich leise nebenbei. Andere kritzeln unaufmerksam in ihren Block. Er spürt eine schwer zu konkretisierende, unterschwellige Abwehrhaltung von gut einem Drittel der Schüler.

Gert Lohmann: Probleme, die die ganze Klasse betreffen und nicht einzelne Schüler, sind schwieriger anzupacken. Zwar ist man als Lehrer natürlich weisungsbefugt und hierarchisch überlegen. Aber, machen wir uns nichts vor, eine widerspenstige Gruppe von Schülern kann den Unterricht aushebeln. In der beschriebenen Situation würde ich einen klaren Schnitt machen, im fachlichen Unterricht pausieren und das Problem offen zur Sprache bringen. Ich würde die Schüler zum Beispiel fragen, ob es am Stoff liegt, an meiner Art, ihn zu vermitteln, oder ob es andere Gründe für die Unruhe und fortdauernden kleinen Störungen gibt. Mit einem offenen Austausch hierüber ist schon viel erreicht.

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