Zwischen Nähe und Distanz
Wie Referendarinnen und Referendare eine gute Beziehung zu ihren Schülerinnen und Schülern aufbauen können
Ob als Schüler und Schülerin oder als Studierende: Bisher waren Sie hauptsächlich mit Gleichaltrigen zusammen, mit Ausnahme Ihrer Familie, Ihrer Lehrkräfte und Dozenten. Jetzt stehen Sie allein einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern gegenüber, die deutlich – oder zumindest um einige Jahre – jünger sind als Sie. Wie können Sie eine Beziehung zu diesen Schülerinnen und Schülern aufbauen? Und wie sollte diese Beziehung aussehen? Wieviel Nähe und wieviel Distanz sind ideal? Schließlich ist ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrkraft und den Schülerinnen und Schülern ein entscheidendes Kriterium für guten Unterricht.

Egal ob in der Grundschule oder in den weiterführenden Schulen: Der erste Schritt eines guten Beziehungsaufbaus ist getan, wenn Sie den Schülerinnen und Schülern zeigen, dass Sie sie als Individuen wahrnehmen. Zugegeben, das ist nicht ganz einfach, schließlich sitzen 20, 25 oder mehr junge Menschen vor Ihnen, von denen Sie bislang so gut wie nichts wissen. Sie müssen also diese vielen Individuen zunächst einmal kennenlernen. Die Schülerinnen und Schüler haben es wesentlich leichter: Sie müssen sich nur auf eine neue Person einstellen, nämlich auf Sie. Und das gilt es, zu nutzen.
Kein Verhältnis auf Augenhöhe
Das heißt, Sie sollten auch ein wenig von sich preisgeben. Sie sollten sich nicht bloß mit Ihrem Namen vorstellen, sondern auch ein wenig von sich selbst erzählen. Sie können zum Beispiel ein paar persönliche Dinge mitbringen und die Schülerinnen und Schüler raten lassen, was das mit Ihnen zu tun hat. Je nach Alter der Schülerinnen und Schüler können Sie auch erzählen, warum Sie diesen Beruf gewählt und wie Sie das Studium erlebt haben. Auch ein paar Anekdoten aus der eigenen Schulzeit sind nicht verkehrt. So machen Sie es den Schülerinnen und Schülern leichter, auch etwas von sich zu preiszugeben. In der Grundschule ist das noch einfach, dort erzählen die Kinder gern von ihren Haustieren, ihren Hobbys oder ihren Erlebnissen. Später fällt es Schülern nicht mehr so leicht, vor der Klasse etwas Persönliches von sich preiszugeben. Da hilft ein kleiner schriftlicher Fragenkatalog.
Entscheidend für den Beziehungsaufbau ist: Das Lehrer-Schüler-Verhältnis - und auch das Referendar-Schüler-Verhältnis - ist keines auf Augenhöhe. Als Lehrkraft üben Sie eine besondere Rolle aus. Denn Sie haben nicht nur einen Wissens- und Kompetenzvorsprung, Sie haben auch besondere Befugnisse.
Je nach Schulstufe und Schulart kann die Beziehung zwischen Schülerinnen und Lehrkraft jedoch kompliziert sein. In der Grundschule besteht die Gefahr, als Lehrkraft zu sehr in die Elternrolle zu geraten und in der weiterführenden Schule möglicherweise mehr Kumpel als Lehrkraft zu sein, weil der Altersunterschied nicht allzu groß ist. Beides ist nicht gut, denn Sie sind weder Eltern noch die besten Kumpel ihrer Schülerinnen und Schüler.
In der Grundschule
Grundschulkinder brauchen emotionale Zuwendung und das Gefühl von Sicherheit. Aber zu viel Nähe kann auch das professionelle Verhältnis zwischen Ihnen und den Kindern beeinträchtigen. Selbstverständlich müssen Sie auf die Sorgen und Nöte und auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder eingehen, dabei aber nie Ihre Rolle als Lehrkraft vergessen – und auch als Referendarin oder Referendar sind Sie Lehrkraft. Das ist nicht einfach und braucht, ebenso wie die gründliche Unterrichtsvorbereitung, auch viel Anstrengung und vor allen Dingen Reflexion. Daneben können sie auch auf einfache Methoden zurückgreifen, die sich für den Beziehungsaufbau bewährt haben, zum Beispiel Begrüßungs- oder Abschiedsrituale.
Rituale am Anfang des Unterrichts erleichtern es den Kindern nicht nur, in den Unterricht hineinzufinden, sie vermitteln ihnen auch Verlässlichkeit und sorgen für ein Vertrauensverhältnis zur Lehrkraft. Gerade Grundschulkinder entwickeln oftmals ein intensives Verhältnis zu ihrer Lehrerin oder ihrem Lehrer. Vergessen Sie dabei nicht, auf Ihre eigenen Bedürfnisse zu achten. Wenn Sie Rückzugsmöglichkeiten und Distanz brauchen, dann versuchen Sie, sich diese auch zu nehmen – mit der gebotenen Sensibilität.
In den weiterführenden Schulen
Wenn es die Zeit erlaubt, können Sie Ihre Schülerinnen und Schüler einzeln mit Namen oder sogar per Handschlag begrüßen. So machen Sie deutlich, dass Ihnen jede Schülerin, jeder Schüler wichtig ist und festigen ganz nebenbei die Beziehung.
Wenn Sie mehr über die Persönlichkeit und die individuellen Stärken und Schwächen Ihrer Schülerinnen und Schüler wissen, desto besser können Sie auch auf jeden einzelnen eingehen. Dafür machen Sie sich am besten im Nachgang zum Unterricht Notizen zu jeder Schülerin und jedem Schüler. Notieren Sie auch, was Ihnen an Interaktionen zwischen den Schülerinnen und Schülern aufgefallen ist.
Und schließlich: Wechseln Sie die Perspektive. Wie würden die Schülerinnen und Schüler eine gute Beziehung zu Ihnen beschreiben? Was könnten sie von Ihnen erwarten?
Beispielsweise, dass sie ernst genommen werden, aber nicht bevormundet werden wollen. Dass sie mitentscheiden wollen und dass sie fair von Ihnen behandelt werden wollen. Dass Sie zwar ein Gespür für ihre Sorgen und Nöte haben sollten, dass sie aber vieles lieber mit ihren Freundinnen und Freunden teilen möchten als mit ihrer Lehrkraft. Vielleicht auch, dass sie Sie als Vorbild wahrnehmen möchten.
Grundsätzlich trägt eine freundliche Lernatmosphäre enorm zu einer guten Beziehung zwischen den Schülerinnen und Schülern und Ihnen bei. Ein herablassendes, demütigendes oder gar verletzendes Verhalten gehört nicht zum Repertoire einer guten Lehrkraft. Genauso wenig wie zu viel Nähe oder Neugier.
Und schließlich: Wenn Sie meinen, es läuft nicht gut mit der Beziehung zwischen Ihnen und den Schülerinnen und Schülern oder Sie sind unsicher, wie Sie sich verhalten sollten, stecken Sie nicht den Kopf in den Sand und machen Sie nicht einfach weiter! Holen Sie sich Hilfe: Bei Ihrer Mentorin, bei Ihrem Mentor, im Studienseminar und ganz wichtig: bei denen, die sich in einer ähnlichen Situation wie Sie befinden, bei den anderen Referendarinnen und Referendaren.