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Hinter den Kulissen / 06.05.2025

„Eine diskriminierungssensible Haltung ist emotionale Arbeit“

Interview mit Oda Stockmann, Autorin des Duden-Ratgebers Diskriminierungsfreie Sprache

„Ich dachte, ich sei weltoffen und kein bisschen rassistisch, sexistisch oder auf anderen Ebenen diskriminierend, auch nicht aus Versehen.“ Das schreibt Oda Stockmann in ihrem Buch Diskriminierungsfreie Sprache – und erklärt dann, warum sie sich mit dieser Annahme geirrt hat. Ihr Ratgeber hilft dabei, sensibler für diskriminierende Sprache zu werden. Er vermittelt, dass es nicht darum geht, lediglich bestimmte Wörter zu vermeiden, sondern vielmehr darauf ankommt, eine veränderungsoffene Haltung zu entwickeln.

Im Interview spricht Oda Stockmann über ihr Buch, dessen Rezeption und den Stellenwert von Sprache. Die Autorin vergleicht die Beschäftigung mit Diversity mit dem Erlernen eines Musikinstruments. Die eigene Kommunikation zu hinterfragen sei – gerade auch im Umfeld von Schule und Bildung – selten bequem, einfach und sofort erledigt. Und dennoch immer lohnenswert.

Bild: stock.adobe.com/pressmaster

Ihr Ratgeber Diskriminierungsfreie Sprache ist im Oktober 2023 im Dudenverlag erschienen. Wie sind die Rückmeldungen aus der Leserschaft?

Oda Stockmann: Überwiegend bekomme ich das Feedback, dass das Buch leicht zugänglich ist. Das führt dazu, dass viele es als hilfreich und positiv empfinden – trotz des oft eher als unangenehm bewerteten Themas. Über solches Feedback freue ich mich sehr und es macht mich stolz. Ich glaube, ich habe das Buch etwa sechsmal geschrieben, bis es so verdichtet war, wie es jetzt ist.

Besonders freut mich, dass das Buch den Rückmeldungen zufolge auch viel von Lektor*innen gelesen und genutzt wird. Das zeigt, dass das Thema diskriminierungsfreie Sprache die Redaktionen und publizierenden Teams erreicht und beschäftigt.
 

Im Vorwort schreiben Sie: „Mein eigenes Lernen ist Teil meiner Arbeit.“ 
Wie äußert sich das?

Oda Stockmann: Wir lernen ja immer etwas dazu, wenn wir uns mit einem neuen oder weniger vertrauten Thema beschäftigen. Darüber wird nur nicht immer so offen gesprochen. In Bezug auf diskriminierungssensible Kommunikation lerne ich im Grunde jeden Tag etwas Neues. Immer dann, wenn ich mit Menschen in Austausch komme, die eine andere Marginalisierungsebene haben als ich oder einfach eine andere Sichtweise vertreten, finde ich das bereichernd. Auch wenn ich ein Buch über das Thema geschrieben habe, bin selbstverständlich auch ich voreingenommen und mache Fehler. Das gehört dazu.
 

Was ist der häufigste Einwand, der Ihnen begegnet, wenn es um die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit diskriminierungssensibler Kommunikation geht?

Oda Stockmann: Da gibt es Unterschiede. Bei der sprachsensiblen Textarbeit als Sensitivity Readerin gehe ich immer so vor, dass ich die Gründe für potenzielle Diskriminierung erkläre und direkt mögliche Lösungen anbiete. Das führt dazu, dass mein Gegenüber die Wahl hat, wie damit umgegangen wird, und wir wenig darüber diskutieren. Die Auftraggeber*innen entscheiden selbst, was sie von den Vorschlägen nutzen möchten.

Im Trainings- und Workshopbereich hingegen sind viel mehr Widerstände spürbar, weil ich anderen Menschen einen Spiegel vorhalte an Stellen, an denen sie es nicht erwartet hätten. Die erste Reaktion darauf ist immer eine Abwehrhaltung, die aber Teil des Prozesses ist und den Raum für Diskussion öffnet. Wie schnell jemand in der Lage ist, diese Widerstände zu überwinden und sich einzulassen, ist sehr individuell und hängt damit zusammen, wie sehr die Person es bereits gewohnt ist, sich mit persönlicher Veränderung und Weiterentwicklung auseinanderzusetzen. Dabei hilft die Kommunikation innerhalb eines Teams enorm. Im Austausch miteinander entstehen die größten Lernmomente. Allein das gemeinsame Nachdenken über ein Thema hilft, Prozesse in Gang zu bringen.

Einerseits wird aktuell im öffentlichen Diskurs eine zunehmende Verrohung von Sprache wahrgenommen. Zu Recht heißt es oft: Sprache ist machtvoll. Dies geht häufig mit einem Wunsch nach mehr Achtsamkeit einher. Andererseits hat diskriminierungsfreie Sprache immer noch einen eher schlechten Ruf und die Auseinandersetzung damit wird mitunter als lästig empfunden. Hat das Thema Kommunikation ein Kommunikationsproblem?

Oda Stockmann: Ich glaube, diskriminierungsfreie Sprache hat eher ein Marketingproblem als ein Kommunikationsproblem. Wäre es ein Kommunikationsproblem, hieße das für mich, die Menschen verstehen nicht, was diskriminierungsfreie Sprache ist. Das glaube ich aber schon. Ich denke, es ist vielmehr, dass Menschen sich nicht für eine diskriminierungsfreie Sprache interessieren, obwohl sie oft gut zu den Werten passt, die sie vertreten. Aber es ist halt mühsam, sich damit auseinanderzusetzen. Und es heißt immer, etwas zu verändern, und manchmal auch, auf Privilegien zu verzichten oder zumindest die Sorge zu haben, auf etwas zu verzichten. Das ist kein angenehmes Gefühl. Der Gewinn einer möglichst diskriminierungsfreien Sprache hingegen ist erst mal nicht messbar. Und genau deshalb haben viele Menschen keine Lust, sich näher damit zu beschäftigen.

Die Auseinandersetzung damit, wie wir kommunizieren möchten und wie unsere Haltung zu Diskriminierungssensibilität ist, ist emotionale Arbeit, die Zeit braucht. Niemand ist von jetzt auf gleich diskriminierungssensibel – so funktioniert das nicht. Wir alle sind mit unserer persönlichen Geschichte aufgewachsen und können uns davon nicht einfach so freimachen. Es ist also Arbeit, es kostet Zeit und häufig auch Geld. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch mit Freude gehen und sich leicht anfühlen darf.

Und ja, es stimmt, dass Sprache Macht hat. Aber ich glaube, die Art und Weise, wie wir miteinander agieren, hat noch mehr Macht. Es gibt zum Beispiel Studien dazu, dass vielfältig zusammengesetzte Teams erfolgreicher sind – dieses Wissen könnten Unternehmen viel stärker für sich nutzen. Allerdings ist es nicht damit getan, schnell ein paar Entscheidungen zu treffen, sondern es steckt viel innere Arbeit darin, gerade für Führungskräfte. Die Frage, in welcher emotionalen Lage die Entscheider*innen sind, spielt auch eine große Rolle. Eine offene, veränderungsbereite Haltung, auch sich selbst gegenüber, muss man wollen und kultivieren.
 

Insofern ist diversitätssensibles Handeln und Kommunizieren auch eine Frage von Verantwortung.

Oda Stockmann: Was Nachhaltigkeit angeht, auf jeden Fall. Wenn wir uns die globale Verteilung von Machtverhältnissen ansehen, ist Sprache ein wichtiger Faktor. Und es gibt viele weitere Erkenntnisse, die zeigen, dass es sich um einen gesamtgesellschaftlichen Prozess handelt, der sich lohnt. So ist ja inzwischen beispielsweise wissenschaftlich nachgewiesen, dass geschlechtergerechte Sprache die Art und Weise beeinflusst, wie Kinder Berufe wahrnehmen und welche davon sie sich für sich selbst vorstellen können.
 

In Ihrem Buch wählen Sie das Beispiel von Team Normal und Team Anders, um das Konzept von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit zu veranschaulichen. Gerade im jugendlichen Alter geht es ja viel ums Dazugehörenwollen. Was bedeutet das für die Bildungsarbeit im Umfeld Schule?

Oda Stockmann: Es bedeutet zum Beispiel, dass es total relevant ist, wie sensibel und inklusiv Sprache in Lehrmaterialien eingesetzt wird und wie Lehrkräfte dies in der Kommunikation mit Schüler*innen weitertragen. Im Schulsystem gibt es natürlich eine Menge Optimierungsbedarf, nicht nur im Bereich Sprache, und sehr oft geht es dabei um die Frage: Was für ein Vorbild möchte ich sein und welche Haltung möchte ich an die Kinder und Jugendlichen weitergeben? Ich komme immer wieder auf einen Leitsatz zurück: Wenn ich etwas verändern möchte, muss ich anfangen, mich selbst zu verändern.

Meine Erfahrung ist: Je sensibler die Schulleitung diesbezüglich ist, desto leichter wird es im Kollegium, sich daran zu orientieren. Lehrkräfte haben allerdings in der Regel so viel Arbeit, dass ich den Gedanken Und jetzt soll ich das auch noch angehen? total gut verstehen kann. Oft sind sie so mit den Basics ihres Unterrichts beschäftigt, dass nicht mehr viel Energie übrig ist. Nur leider müssen wir in alles, was wir neu lernen, ein gewisses Maß an Energie stecken. Wenn ich ein Musikinstrument spielen möchte, muss ich vielleicht erst einmal lernen, Noten zu lesen. Das ist bei Diversity ganz ähnlich, das geht auch nur in kleinen, kontinuierlichen Schritten.
 

Das Musikinstrument ist ein gutes Bild, weil es beinhaltet, dass es auch ums Üben geht und um den Anspruch an sich selbst, mit der Zeit besser zu werden. In dem Wissen darum, dass es nie ein Ende der Entwicklung geben wird.

Oda Stockmann: Genau, es endet nie, aber gleichzeitig wird es natürlich in einzelnen Bereichen leichter. Wenn ich zum Beispiel gelernt habe, Noten zu lesen, kann ich ein Musikstück danach spielen. Wenn ich im Vergleich gelernt habe, was die Muster diskriminierender Sprache sind, kann ich sie schneller verändern. Und die Übung lehrt einen auch die Demut gegenüber dem Prozess, indem man sich sagt: Ich kann es zwar gerade noch nicht gut, aber ich probiere es trotzdem weiter. Auch wenn hin und wieder ein grauenvoller Ton dazwischen ist.
 

Was hilft Menschen, die sich dem Thema der diskriminierungsfreien Sprache annähern und ihm mehr Präsenz geben wollen – abgesehen davon, dass sie mal in Ihren Ratgeber hineinlesen?

Oda Stockmann: Mein erster Tipp ist, immer wieder miteinander darüber zu reden. So trivial sich das auch anhört. Es hilft immer, in den Austausch zu gehen. Auch wenn es für viele Menschen ein Privileg darstellt, sich die Zeit dafür nehmen zu können, so ist es auch für viele Menschen nicht möglich, sich der Diskriminierung zu entziehen. Zweiter Tipp: im privaten Umfeld versuchen, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die nicht die eigene Perspektive oder Lebensrealität haben. Dabei wird oft spürbar, wie sehr wir alle in unserer eigenen Bubble leben und dass es zwar nicht immer leicht, aber ungemein wertvoll ist, mal einen Schritt aus ihr heraus zu machen.

Das Interview führte Stefanie Barthold.

Zur Person:

Bild: Jenny Otto

Buchautorin Oda Stockmann sensibilisiert Menschen in Workshops und Vorträgen für (unbewusste) Diskriminierung. Sie ist Diversity Coach, Organisationsentwicklerin und Sensitivity Readerin. 

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