Grundschule / 05.05.2022

{First Steps} Kulturelle Kompetenzen durch Vielfalt der Zugangsweisen

Im Englischunterricht werden nach verschiedenen Konzepten kulturelle Kompetenzen angebahnt. Landeskunde und interkulturelles Lernen werden schon lange im Englischunterricht der Grundschule integriert. Relativ neu hingegen ist das transkulturelle Lernen. Welche Zielsetzungen mit dem Methodenmix verfolgt werden, erläutert der folgende Beitrag.  

Lehrerin spricht mit zwei Schüler*innen
Bild: stock.adobe.com/contrastwerkstatt

Britische Kultur findet man in vielen Klassenzimmern. Der Union Jack oder die Karte vom Vereinigten Königreich an der Pinnwand gehören dazu. Nicht weniger beliebt sind Bilder von den klassischen Sehenswürdigkeiten in London. Manche Lernende oder Lehrkräfte bringen Gegenstände aus dem Englandurlaub in die Schule und gestalten Schaukästen. Dort steht dann das Modell des Londoner Taxis neben dem einer roten Telefonzelle und anderen Mitbringseln aus britischen Souvenirshops. Es sind hilfreiche Realien für eine Wortschatzeinführung. Und welche Lehrkraft würde schon darauf verzichten, ein englisches Breakfast mit der Klasse zu veranstalten. Vielleicht ohne Eier und Speck, aber Porridge, Ginger Marmelade und Baked Goods werden wohl kaum fehlen. Genauso wenig wie die Tasse Tee.  

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Landeskunde

Die Beispiele verweisen auf einen traditionellen Eckpfeiler kulturellen Lernens im Englischunterricht der Grundschule. Denn sie lassen sich dem landeskundlichen Lernen zuordnen. Landeskunde hat eine lange Tradition. Es gibt sie, seitdem das Fach Englisch in der Grundschule Einzug gehalten hat. Bis heute sind die Themenvorschläge in den Lehrplänen landeskundlich geprägt. Die meisten Facts and Figures beziehen sich konkret auf Großbritannien. Nach den Vorstellungen der Lehrpläne sollen die Schülerinnen und Schüler sich zuerst einmal Wissen über ein Land aneignen, in dem Englisch gesprochen wird. Exemplarisches Lernen also ist gefragt.  

Orientierungswissen

Die Landeskunde ist der Rahmen, der Lernenden dazu verhelfen soll, sich in der Zielkultur zu orientieren. Sie erfahren, welche Feste bedeutsam sind und wie hohe Feiertage, die Kinder aus Deutschland kennen, in Großbritannien begangen werden. Einige Grundlagen zur Geografie des Landes und zu Personen der Geschichte kommen hinzu (z. B. Guy Fawkes). Einen hohen Stellenwert haben Themen, die sich mit dem Alltag befassen. Hier sind Kinder bereits Expertinnen und Experten, sie können einiges zu ihrem Alltagsleben sagen und verstehen. Das zentrale Auswahlkriterium für landeskundliche Inhalte ist jedoch ihre Eignung für die Veranschaulichung, Einbettung und inhaltliche Gestaltung der sprachlichen Aktivitäten. Es ist geradezu ein Markenkern der Landeskunde im Unterricht, dass sie sich sprachlichen Zielsetzungen unterordnet. Mit Bildern von einer britischen Schule werden School Words eingeführt. Anhand der Londoner U-Bahn-Karte trainieren sich die Kinder darin, Wege zu beschreiben. Oder sie üben die Fragebildung, indem sie sich in einer E-Mail an das Lehrbuchkind nach Sehenswürdigkeiten in der britischen Hauptstadt erkundigen.  

Interkulturelles Lernen

Damit Kinder sich Orientierungswissen aneignen können, gehören Informationen zu Land und Leuten, zu Facts and Figures, auch zum interkulturellen Lernen. Nun werden sie aber häufig zum Unterrichtsgegenstand, sind nicht länger nur Beiwerk des sprachlichen Curriculums. Denn interkulturelles Lernen will mehr, als Inhalte vorzuhalten, die das Training kommunikativer Kompetenzen einbetten. Kernanliegen ist es, Verständnis und Toleranz anzubahnen. Die Kinder sollen offen werden für Neues, für Ungewohntes. Interesse für Unbekanntes und Neugierde auf Fremdes sind gute Ausgangsbedingungen, um Toleranz anzubahnen. Für ein gedeihliches Miteinander ist diese Haltung mitentscheidend. 

Fremdverstehen

Ein großer Schritt ist getan, wenn Lernenden deutlich wird, dass Fremdes auf den zweiten Blick so fremd gar nicht ist. Deshalb ist eine zentrale Methode des interkulturellen Lernens der Vergleich. Ausgangspunkt für Vergleiche sind die Gegebenheiten, die Kinder aus ihrem Alltagsleben bereits kennen. Das Vertraute wird in interkulturellen Lernarrangements um weitere, andere Entwürfe ergänzt. Dann können die Lernenden beispielsweise ihren eigenen Tagesablauf mit dem eines britischen Lehrbuchkindes vergleichen oder den selbst verfassten Einkaufszettel mit einem, von dem in einer zielkulturell verorteten Geschichte die Rede ist. Geht es um Sehenswürdigkeiten, bezieht interkulturelles Lernen die Erfahrungen der Kinder direkt mit ein. Im ersten Schritt lernen sie beispielsweise Sehenswürdigkeiten in Schottland kennen. Im zweiten Schritt sollen sie erzählen, was es an Sehenswertem an ihrem eigenen Wohnort gibt.  

Zu den kommunikativen interkulturellen Kompetenzen gehört es, zu lernen, wie man sich in Gesprächen angemessen ausdrückt. Die Entwicklung eines akzeptierten Sprachverhaltens ist eine wichtige interkulturelle Zielsetzung, weil sich so Irritationen vermeiden lassen. Oftmals entstehen sie weniger durch sprachliche Fehler als dadurch, dass Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner sprachliche Konventionen ignorieren. Sie werden nicht bewusst missachtet, sondern weil sie oft unbekannt sind.  

Transkulturelles Lernen

In transkulturellen Lernarrangements spielen Facts and Figures zur Nationalkultur Großbritanniens keine große Rolle mehr. Der Vergleich von zwei Ländern mit dem Ziel, Gegensätzliches oder Fremdes aufzuzeigen, ist Nebensache. Transkulturelles Lernen stellt das Verbindende in den Mittelpunkt. All das kann zu einem Thema werden, was junge Lernende in den Lebensbereichen an ihren Wohnorten gleichermaßen erleben. Die Ausprägungen können sich von Kind zu Kind unterscheiden. Nicht alle wohnen in einem Haus, haben Geschwister oder leben mit beiden Eltern unter einem Dach. Wer vom Land kommt, hat einen längeren Schulweg als Freundinnen und Freunde aus der Stadt und muss früher aufstehen, in einen vollen Bus oder Zug steigen usw. Dies ist in Großbritannien nicht anders als in Deutschland. Deshalb befasst sich transkulturelles Lernen mit solchen und ähnlichen Erfahrungen. Der Fokus richtet sich nicht mehr auf ein Land, sondern auf Facetten einzelner Lebensbereiche von Menschen, auf Probleme und Entwicklungen, die in vielen Ländern anzutreffen, gewissermaßen globale Phänomene sind. 

Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen nennt drei Lebensbereiche oder Domänen, in denen transkulturelles Lernen an der Grundschule verortet werden kann. 

  • Die private Domäne meint das Familienleben, Freundschaften, soziale Kontakte.
  • In der öffentlichen Domäne finden Freizeitaktivitäten statt, die Menschen versorgen sich, nutzen Medien etc.
  • Die Schule gehört zur Domäne Bildung und Ausbildung.

In all diesen Domänen agieren und leben die Kinder als Mitgestaltende und machen ihre Erfahrungen. Sie gehen Hobbys nach, treffen sich mit Freundinnen und Freunden, nutzen Messenger-Dienste. Sie gehen gerne oder nicht gerne zur Schule, engagieren sich in einem Verein, in einer Mannschaft oder auch nicht. Die Kinder sind Töchter oder Söhne, Enkelinnen oder Enkel, Freundinnen oder Freunde, Fans, Konsumierende. Unabhängig vom Land, in dem sie aufwachsen, entwickeln sie in den verschiedenen Domänenbereichen ihre eigene, individuelle Kultur aus persönlichen Vorstellungen und Sichtweisen. In der Familie freuen sich die einen über Ausflüge mit den Eltern, andere sind am liebsten zu Hause. In der Schule haben manche Lieblingsfächer, andere nicht. Dafür leben diese Kinder vielleicht als Schwimmbegeisterte für einen Sport, den die Fußballfans in der Klasse gar nicht mögen. Auch diese Vielfalt an Akzentuierungen von domänenspezifischen Erfahrungen junger Lernender will transkulturelles Lernen beleuchten. Als Folge dessen wird nun den individuellen Kulturen von Schülerinnen und Schülern mehr Aufmerksamkeit zuteil.  

Gemeinsamkeiten erkennen 

Die transkulturelle Variante kulturellen Lernens bringt es mit sich, dass die Kinder vielfältige Angebote erhalten, um sich mitzuteilen, über sich und über Themen zu sprechen, die für sie bedeutsam sind: Freizeit, das Leben zu Hause, Unternehmungen mit Freundinnen und Freunden, Interessen und Abneigungen etc. Es ist nicht mehr so entscheidend, in welchem Land Kinder wohnen oder woher sie kommen. Im Zentrum stehen die Lernenden selbst und die Gemeinsamkeiten ihrer Individualkulturen. Darüber tauschen sie sich aus und erfahren, was andere können, mögen und mit ihnen teilen (KV1).

Kostenlose Kopiervorlage

Die methodischen Formate transkultureller Lernangebote sind nicht nur Inszenierungen von Dialogen, das Verfassen von E-Mails, die Darbietung kleiner Präsentationen oder die Aufführung kurzer Spielszenen. Schon wenn Kinder ihre eigene Wörterliste erstellen und im nächsten Schritt mit der Partnerin oder dem Partner ein Ranking aushandeln, befinden sie sich in einer transkulturellen Gesprächssituation: Welche Wörter passen deiner Meinung nach, wie findest du meine Liste, welche wollen wir davon auswählen usw. Mit Mitschülerinnen und Mitschülern verhandeln sie Auffassungen, z. B. von Vorlieben und Präferenzen (KV2).

Fazit

Der Englischunterricht an der Grundschule nutzt mehrere kulturelle Zugangsweisen zur Sinnstiftung. Landeskundliche Informationen versorgen mit Orientierungswissen zu einer Zielkultur. Sie informieren über Sehenswürdigkeiten und führen ein in Traditionen und Organisationsformen in der Zielkultur. Interkulturelles Lernen schafft zusätzlich Möglichkeiten, Fremdes wahrzunehmen, vergleichend einzuordnen und als Alternative zum Eigenen zu würdigen. In einem transkulturellen Klassenzimmer können sich die Kinder zudem über Erfahrungen in ihren Lebensbereichen austauschen und verständigen. 

Prof. Dr. Wolfgang Gehring ist Professor für englische Fachdidaktik an der Universität Oldenburg. 

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