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Schule gestalten / 04.04.2024

Schon 12-Jährige können mit Wiederbelebungsmaßnahmen Leben retten

Dr. Gernot Rücker über die Notwendigkeit von Wiederbelebungstrainings in Schulen

Bereits 2014 hat der Schulausschuss der Kultusministerkonferenz empfohlen, jährliche Wiederbelebungskurse ab Jahrgangsstufe 7 einzuführen. Die Länder sollten Lehrkräfte entsprechend schulen lassen. Doch zehn Jahre später kann noch immer nicht von einer flächendeckenden Einführung dieses Unterrichts die Rede sein. 

Übungsszene: CPR-Puppe und AED-Gerät auf einem Holzboden.
Bild: Shutterstock.com/narin phapnam

„Wiederbelebungsunterricht ist eine genuine Schulangelegenheit“, sagt Dr. Gernot Rücker. Er ist Notfallmediziner an der Universitätsmedizin Rostock. Hier verantwortet er auch das Projekt Retten macht Schule“. Beim Deutschen Rat für Wiederbelebung leitet er die Arbeitsgruppe „Schülerreanimation / KIDS SAVE LIVES“.

Herr Dr. Rücker, warum sollten bereits 12-jährige Schülerinnen und Schüler lernen, eine Herzdruckmassage zu machen? Reicht das nicht, wenn sie den Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein absolvieren?

Gernot Rücker: Also zunächst einmal zur Notwendigkeit, dass möglichst viele Menschen in der Lage sein sollten, eine Herzdruckmassage durchzuführen: Jährlich erleiden mehr als 50 000 Menschen deutschlandweit einen plötzlichen Herzstillstand außerhalb eines Krankenhauses und brauchen rasche Hilfe. Denn die Hirnzellen sind sehr sensibel, was die Unterversorgung mit Sauerstoff angeht. Und das ist bei jedem Herz-Kreislauf-Stillstand der Fall. Die ersten Minuten, die bei der Wiederbelebung verloren gehen, kann man im weiteren Verlauf nicht mehr aufholen. Deswegen muss man wirklich sehr früh mit der Wiederbelebung beginnen. Denn das, was an Hirnzellen durch den Sauerstoffmangel eingebüßt wird, kann keine Notfallmedizin, egal wie gut sie ist und egal wie viel Technik sie mitbringt, mehr rückgängig machen. Und es braucht immer Zeit, bis der Rettungsdienst kommt. Häufig ist bei einem Herzstillstand jedoch jemand in der Nähe, der eingreifen kann. Damit Menschen aber eingreifen können, müssen sie wissen, was zu tun ist. Und wo könnten sie es besser lernen als in der Schule? Denn hier erreicht man nahezu alle Menschen.

Bild: Gestaltung der Icons: Stan Hema, Berlin 2017/2018

Dr. Gernot Rücker

Notfallmediziner Natürlich müssen Lehrer einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht haben.

Und Schülerinnen und Schüler der siebten Klasse können eine Reanimation durchführen?

Gernot Rücker: Ja, absolut. Technisch ist die Thorax-Kompression, also das, was man allgemein als Herzmassage bezeichnet, sehr einfach durchführbar. Die Wiederbelebung funktioniert in den drei Schritten: „Prüfen, Rufen, Drücken“. Es muss zunächst geprüft werden, ob der Patient noch ansprechbar ist und noch atmet. Dann muss der Rettungsdienst über den Notruf 112 gerufen und sofort mit der Herzdruckmassage begonnen werden. Die Herzdruckmassage sorgt dafür, dass das Blut weiter zirkuliert und die Organe mit Sauerstoff versorgt werden bis der Rettungsdienst eintrifft. Eine vollständige Wiederbelebung mit Atemspende, Herzdruckmassage und Einsatz eines Defibrillators, können 12-Jährige lernen, also Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse. Das haben wir in mehreren Studien mit über 20.000 Schülerinnen und Schülern herausgefunden. Ab diesem Alter sind Jugendliche auch physisch in der Lage, Wiederbelebungsmaßnahmen an einem Erwachsenen durchzuführen.


Und wie findet dieser Unterricht statt, werden die Lehrer geschult oder kommen Notfallexperten an die Schulen?

Gernot Rücker: Natürlich müssen Lehrer einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht haben. Ganz besonders wichtig ist das für die Fächer Sport und Naturwissenschaften. Das wäre ja völlig absurd, wenn wir unsere Kinder Lehrern anvertrauten, die keine Erste-Hilfe können. Wenn heute eine Lehrkraft mit ihrer Klasse einen Ausflug in den Zoo macht und ein Schüler einen Herzstillstand erleidet, weil ihn eine Wespe gestochen hat, dann muss sie selbstverständlich in der Lage sein, diesen Schüler wiederzubeleben.

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„Jede Schule muss einen Klassensatz Übungspuppen beschaffen“

Aber es ist ja ein Unterschied, ob ich fit bin in Erster Hilfe oder ob ich in der Lage bin, ein Wiederbelebungstraining durchzuführen, Werden die Lehrkräfte geschult? Gibt es Konzepte?

Gernot Rücker: Erste-Hilfe ist kein Hexenwerk und als Lehrer ist man immer in der Lage, einen Stoff zu vermitteln. Der Deutsche Rat für Wiederbelebung (GRC) hat einen modularen Lehrerausbildungskurs für den Wiederbelebungsunterricht in Schulen entwickelt. Aber neben der Ausbildung brauchen die Schulen noch die Übungspuppen. Jede Schule muss einen Klassensatz Übungspuppen beschaffen. Wir haben verschiedene Übungspuppen, die auf dem Markt sind, in unserem Forschungslabor untersucht, ob sie didaktisch sinnvoll nutzbar sind, ob sie einfach zusammenbaubar sind und wie belastbar sie sind. Aktuelle Testergebnisse schulklassentauglicher Wiederbelebungspuppen findet man auf unserer Website. Übungspuppen bedeuten für die Lehrkräfte aber auch Arbeit on top: Sie brauchen einen Aufbewahrungsraum, die Puppen müssen gereinigt und es muss Verbrauchsmaterial bestellt werden. Bei uns in Mecklenburg-Vorpommern ist das alles noch ein wenig aufwendiger. Hier dürfen die Schülerinnen und Schüler die Puppe eine Woche mit nach Hause nehmen. Dann nämlich können sie den Eltern und Großeltern und auch den Nachbarn zeigen, wie Wiederbelebung geht. Und schon haben wir viele weitere Menschen fit gemacht für die Wiederbelebung.


Haben Sie denn Rückmeldungen von Lehrkräften. Wie stehen sie zu all diesen zusätzlichen Aufgaben?

Gernot Rücker: Viele Lehrkräfte aus den Bereichen Sport und Naturwissenschaften bestätigen, dass sich das Wiederbelebungstraining prima in den Unterricht integrieren lässt. Das liefert einen abwechslungsreichen Praxisanteil. Zum Beispiel in den Naturwissenschaften beim Thema Herz und Kreislauf.

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In Mecklenburg-Vorpommern gibt es an allen Schulen Wiederbelebungstraining?

Gernot Rücker: Ja, an allen öffentlichen Schulen. Wir stellen sogar Ende des Jahres die Wiederbelebungskurse schon auf kleine Erste-Hilfe-Kurse um. Bisher haben wir bereits 75.000 Schülerinnen und Schüler in Reanimation geschult. Und jetzt gibt es nochmal zwei Stunden obendrauf.
 

Mecklenburg-Vorpommern ist also wegweisend, was das Wiederbelebungstraining an Schulen angeht. Was können Schulen in anderen Bundesländern tun, um dem nachzueifern, auch wenn das eigene Bundesland noch nicht so weit ist? Etwa Unternehmen um Spenden ansprechen?

Gernot Rücker: Das ist immer möglich. Aber dann haben wir wieder das Problem mit der Bildungsgerechtigkeit: Die eine Schule hat die Ausstattung, die andere nicht. Und: Es ist eine genuine Schulangelegenheit, die Kultusministerkonferenz hat das beschlossen. Was spricht also dagegen, dass die Schulen beziehungsweise die Schulträger aktiv werden und die nötigen Mittel bereitstellen?

Bild: Gestaltung der Icons: Stan Hema, Berlin 2017/2018

Dr. Gernot Rücker

Notfallmediziner Schule ist der einzige Ort, an dem man alle Kinder und Jugendlichen erreicht.

 Sehen Sie da überhaupt eine Chance, dass Wiederbelebungstraining in den Schulen bundesweit flächendeckend und in absehbarer Zeit realisiert wird?

Gernot Rücker: Ja, es gibt Bewegung. Es gibt mindestens zwei Fälle, bei denen Schüler einen Herzstillstand erlitten haben und die Lehrer nicht oder nicht effizient gehandelt haben. Dazu gab es jetzt bereits eine richtungsweisende Verurteilung in Hessen. Das Land wurde verpflichtet, lebenslang die Pflegekosten für einen Schüler zu übernehmen. Auch wenn es zynisch klingen mag: Das ist um ein Vielfaches teuer als grundsätzlich Wiederbelebungskurse an Schulen einzurichten. Deswegen glaube ich, dass sich etwas ändern wird. Und es muss sich etwas ändern, denn wenn Jugendliche an keinem Wiederbelebungstraining in der Schule teilgenommen haben und möglicherweise auch keinen Führerschein machen – für den ja ein Erste-Hilfe-Kurs vorgeschrieben wird – dann werden sie später bei einem Notfall kaum sicher helfen können und wollen. Deswegen muss das Training in der Schule stattfinden. Sie ist – wie gesagt - der einzige Ort, an dem man alle Kinder und Jugendlichen erreicht. Dazu kommt: Wenn ich Lehrer wäre und ein Schüler erleidet einen Herzstillstand beim Ausflug, dann wäre ich doch heilfroh, wenn ich noch 20 Schülerinnen und Schüler hätte, die wissen, wie Wiederbelebung geht.

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