Unterricht gestalten / 13.03.2025

Eine andere Art zu unterrichten: Lernen durch Engagement

Wie Lernmotivation, Partizipation, Demokratiekompetenz und Selbstwirksamkeit gefördert werden

Lernen gehört in die Schule und soziales Engagement in die Freizeit. Was aber, wenn beides zusammenkommt?  In Deutschland setzt sich die Stiftung Lernen durch Engagement für diese Lehr- und Lernform ein. Wir haben Anna Mauz vom Leitungsteam der Stiftung gefragt, welches Potenzial dahintersteckt.

Bild: Shutterstock.com/Robert Kneschke

Was ist Lernen durch Engagement, oder Service-Learning, wie es ja auch heißt?

Anna Mauz: Service Learning kommt ursprünglich aus dem anglo-amerikanischen Raum und meint die Verbindung von gemeinnützigem Engagement mit Lernen. Im Deutschen klingt der Begriff Service Learning ein bisschen sperrig und mittlerweile ist Lernen durch Engagement, kurz LdE, im deutschen Bildungskontext der bekanntere Begriff, der auch deutlicher macht, worum es geht: Es ist eine Lehr- und Lernform, die gesellschaftliches Engagement von Schülerinnen und Schülern mit fachlichem Lernen verbindet. Und das bedeutet, junge Menschen setzen sich für ihre Themen und für gemeinnützige Projekte im nahen Umfeld der Schule ein. Das tun sie aber nicht losgelöst oder zusätzlich zur Schule, sondern als Teil von Unterricht und ganz eng verbunden mit dem fachlichen Lernen. Das Engagement wird im Unterricht gemeinsam geplant, die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler werden rückgebunden und reflektiert und mit den Inhalten der Lehrpläne und der Bildungspläne verknüpft.
 

Sie sagen, es kommt aus dem anglo-amerikanischen Raum. Dort ist es also etabliert?

Anna Mauz: Wesentliche Impulse für die Entstehung und Weiterentwicklung von Service-Learning kamen in den 1960er und 1970er Jahren aus den USA und es hat sich seitdem in der pädagogischen Praxis sowohl an Schule als auch Hochschule stark verbreitet. Seit 2001 wurde das in einem Modellprojekt von der Freudenberg Stiftung - das ist die Stiftung, aus der wir ausgegründet wurden - in den deutschen Bildungskontext übertragen. Es ist zunächst mit zehn Schulen gestartet, dann ist so etwas wie eine Graswurzelbewegung entstanden und LdE wurde immer mehr im Schulkontext, aber auch im Hochschulkontext, umgesetzt. Wir sind aktuell in fast allen Bundesländern aktiv.

Ist LdE eher für Projektunterricht oder Projektwochen geeignet oder integriert in den Unterricht?

Anna Mauz: Diese Frage wird uns ganz häufig gestellt. Lernen durch Engagement ist keine einmalige Aktion, sondern eine andere Art zu unterrichten. Es geht also nicht um ein einmaliges Projekt oder etwas Außercurriculares, sondern um eine andere Lernkultur. Projektunterricht oder Projektwochen sind für einen Einstieg gut geeignet, aber der Kern unseres Anliegens ist es, dass Unterricht anders gedacht wird, und zwar von den Interessen der Schülerinnen und Schüler aus. Von den Themen, die sie bewegen und dass sie aktiv ihre Lernprozesse gestalten können.

Anna Mauz
Bild: Gestaltung der Icons: Stan Hema, Berlin 2017/2018

Anna Mauz

Stiftung Lernen durch Engagement Es geht nicht um ein einmaliges Projekt oder etwas Außercurriculares, sondern um eine andere Lernkultur.

Geht es dabei um bestimmte Fächer?

Anna Mauz: LdE funktioniert in allen Fächern und in allen Schulformen von der Grundschule bis zur Berufsschule. Natürlich gibt es Fächer, die sind naheliegender, wie Politik oder Sozialkunde, aber auch in Fächern wie Mathematik oder Deutsch ist LdE sehr gut umsetzbar. Es gibt immer wieder tolle Projekte, bei denen sich Lehrkräfte gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern überlegt haben, wie können wir uns mit dem, was wir in der Schule lernen, in die Gesellschaft einbringen oder was gibt es für Bedarfe in der Gesellschaft, für die wir mit dem, was wir in der Schule lernen, eine Antwort kreieren können.
 

Können Sie kurz ein konkretes Beispiel nennen?

Anna Mauz: Ja, ein Beispiel aus einer zweiten Grundschulklasse. Zu diesem Zeitpunkt stehen im Fach Mathematik unter anderem die Grundrechenarten auf dem Lehrplan und in Sachkunde Tiere und Pflanzen aus den heimischen Wäldern. Und diese zweite Klasse hat Kontakt zu einer nahe gelegenen Kindertagesstätte aufgebaut, in einer Erlebniswoche spielerische Naturerkundungen mit den Kita-Kindern gemacht und einfache mathematische Spiele für sie entwickelt. Sie haben also das, was sie in der Schule gelernt haben, direkt weitergegeben. 

„Schülerinnen und Schüler entwickeln ganz andere Lernmotivation“

LdE existiert in Deutschland also seit mehr als 20 Jahren. Welche Erfahrungen wurden bisher gemacht?

Anna Mauz: Die wichtigste Erfahrung ist, dass die Nachfrage nach einer anderen Art von Lernen groß ist. Es gibt auch vielfältige, fundierte Studien dazu. Die positiven Entwicklungen und Effekte zeigen sich vor allem in vier verschiedenen Bereichen. Zum einen beim Lernerfolg und bei der Lernmotivation

Gerade auf die Lernmotivation hat LdE einen großen Einfluss, weil Schülerinnen und Schüler eine ganz andere Lernmotivation entwickeln, wenn sie das Gefühl haben, sie können ihr Wissen wirklich gebrauchen. Und dann gibt es auch eine deutliche Studienlage dazu, dass LdE die Demokratiekompetenz stärkt und Selbstwirksamkeitserfahrungen stärker fördert als andere Lernformen. Mir kommt da eine Aussage einer Schülerin aus einer Evaluation in den Kopf. Sie sagte: „Mit dem, was ich in der Schule lerne, kann ich wirklich etwas bewegen.“ Und das ist ja im Endeffekt ein entscheidendes Bildungsziel, nämlich die Erfahrung zu machen, sich mit den eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten aktiv in diese Gesellschaft einzubringen. 

„Das Herzstück von Lernen durch Engagement ist die Reflexion“

Und wie wird die Demokratiekompetenz gefördert?

Anna Mauz: Schule wird in dem Moment zum Lernort für Demokratie, wo sie wirkliche, echte Beteiligungsmöglichkeiten bietet und demokratische Prozesse erlebbar macht. Und LdE bietet eine optimale Hülle dafür, um Kompetenzen, die für die Demokratie wichtig sind, zu fördern. Allein schon in der Verbindung von fachlichem Lernen im Unterricht und dem Engagement in die Gesellschaft können sich Schülerinnen und Schüler vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben bürgerschaftlich engagieren. Dann ist aber entscheidend, dass sie nicht bei dieser Erfahrung, geholfen zu haben, stehen bleiben, sondern auch noch eine Meta-Ebene bilden. Denn das Herzstück von LdE ist die Reflexion. Dass also Lehrkräfte mit guten Nachfragen tiefergehende Lernerfahren ermöglichen. Und zum Beispiel hinterfragen, warum engagieren wir uns eigentlich, warum macht das nicht der Staat? Und ganz elementar ist gleichzeitig, dass demokratische Fähigkeiten wie Perspektivübernahme gelernt werden, dass auf der Werte- und Fähigkeitsebene wertvolle Erfahrungen für die Demokratiekompetenz gemacht werden.
 

Das heißt auch, die Schülerinnen und Schüler können sich von Anfang an stark einbringen?

Anna Mauz: Ein Kernansatz ist, dass die Partizipation keine Scheinpartizipation ist und dass die Schülerinnen und Schüler so viel mitentscheiden dürfen wie möglich. Die Lehrkraft ist Expertin dafür, was einer Lerngruppe zugemutet werden kann. Das Ganze geht Hand in Hand mit der innerschulischen Teilhabe, mit Klassenrat, Feedback-Kultur, Schülermitbestimmung. Schülerinnen und Schüler können einerseits im geschützten Raum der Schule, wie im Klassenrat, die ersten Partizipationserfahrungen machen und dann rausgehen in die Gesellschaft. Sie kommen mit Menschen in Kontakt, die außerhalb ihrer eigenen Lebenswelt stehen – zum Beispiel mit Menschen mit Behinderung oder mit anderen kulturellen und sozialen Hintergründen. In der Wissenschaft wird dies als „Bridging“ bezeichnet, also die Verbindung bisher unverbundener Gruppen. Dies stärkt demokratische Kompetenzen wie Perspektivübernahme und soziales Verantwortungsgefühl.
 

Welche Voraussetzungen braucht es in der Schule, um LdE anzugehen?

Anna Mauz: Entscheidend sind Lust und Neugier, neue Wege zu beschreiten und sich auf neue Lehr- und Lernmethoden einzulassen. Und wichtig ist die Unterstützung der Schulleitung.
 

Wie aufwendig ist LdE für die Lehrkräfte?

Anna Mauz: Lernen durch Engagement zunächst aufwendig, so wie alles Neue erst einmal aufwendig ist. Wir hören aber aus der Praxis immer wieder, dass Lehrkräfte ganz neu motiviert werden, weil sie sehen, wie begeistert die Schülerinnen und Schüler sind und welche Wirksamkeit Lernen entfalten kann. Eine Lehrerin hat mir kürzlich gesagt „Für mich ist Lernen durch Engagement der Grund, warum ich wieder Lust auf meinen Beruf habe, weil ich sehe, dass Schülerinnen und Schüler genau das lernen, was mir wichtig ist.“

„Wir haben die Vision, dass alle elf Millionen Schülerinnen und Schüler mindestens einmal im Leben eine wirkungsvolle Lernen-durch-Engagement-Erfahrung machen“

Ist es von Vorteil, wenn die Schule bereits eingebunden ist in die Gemeinde, wenn es da Kontakte zu anderen Institutionen gibt?

Anna Mauz: Das ist gar nicht das Wichtigste. Natürlich ist es praktisch, wenn bereits eine Kooperation zu einem außerschulischen Partner besteht. Noch wichtiger ist aber, dass die Schule bereit ist, über neue Lernformen und Lehrmethoden nachzudenken. Der Kontakt nach außen in den Nahraum der Schule ergibt sich sehr schnell. Denn da sitzen 20, 25 Schülerinnen und Schüler in der Klasse, die alle eine Idee haben: In welche Kita geht meine Schwester, in welchem Seniorenheim wohnt mein Opa, was arbeitet meine Mama?
 

Wenn eine Schule mit Lernen durch Engagement beginnen will, findet sie dann bei Ihrer Stiftung Unterstützung?

Anna Mauz: Ja, auf jeden Fall. Wir sind seit über 20 Jahren bundesweit aktiv. Wir haben die Vision, dass wirklich alle elf Millionen Schülerinnen in Deutschland mindestens einmal im Leben eine wirkungsvolle Lernen-durch-Engagement-Erfahrung machen. Und das geht natürlich nicht nur mit einer kleinen Stiftung, die in Berlin sitzt, sondern wir setzen auf Partner vor Ort und auf ein Unterstützungssystem um die Schule herum. Wir sorgen außerdem dafür, dass durch Kooperationen mit Kultus- oder Bildungsministerien der notwendige Rückenwind da ist.
 

Sie sagten Partner vor Ort, finde ich diese auf Ihrer Website?

Anna Mauz: Auf unserer Website finden Sie alle unsere Partner mit ausgebildeten Schulbegleiterinnen und -begleitern, die ganz konkret Schulen bei der Umsetzung von Lernen-durch-Engagement unterstützen und zum Beispiel auch Fortbildungen anbieten. Über unsere Website gelangt man außerdem an ein relativ großes digitales und auch an ein Offline-Angebot, mit dem man sich selbst fortbilden kann. Daneben gibt es auch viele praktische Beispiele, an denen man sich orientieren kann.

 

Zur Person
Anna Mauz ist Teil des Leitungsteams der Stiftung Lernen durch Engagement und verantwortet den Bereich Wirkung und Evaluation. Gemeinsam mit Prof. Dr. Marcus Gloe (LMU München) entwickelte sie das Modell „Demokratiekompetenz bei Service-Learning“. Sie studierte Psychologie mit Schwerpunkt pädagogische und Entwicklungspsychologie und ist Expertin für Forschungsmethoden, innovative Lernformate und Wirkungsorientierung.
Broschüre Demokratiekompetenz bei Service Learning

Schlagworte:

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