Lernstörungen wie Dyskalkulie oder Lese- und Rechtschreib-
Schwäche (LRS) gehen häufig einher mit beeinträchtigten exekutiven
Funktionen. Rund 70 Prozent der Kinder mit Lernschwierigkeiten
beim Lesen zeigen in Arbeitsgedächtnistests niedrige
Werte. Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
(ADHS) weisen Verhaltensauffälligkeiten auf, die
oftmals eine Folge von unzureichend ausgebildeten exekutiven
Funktionen sind, wie ein schwaches Arbeitsgedächtnis, mangelnde
kognitive Flexibilität und Störungen der Impuls- und
Emotionskontrolle. Die gute Nachricht aber ist: Exekutive Funktionen
können in vielfältiger Form spielerisch, kognitiv und körperlich
trainiert und gefördert werden. Von einem solchen Training
profitieren alle Kinder, insbesondere aber diejenigen mit
Schwierigkeiten in den exekutiven Funktionen.
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Förderung exekutiver Funktionen Teil I
Fit fürs Lernen: So trainieren Kinder ihre Aufmerksamkeit und Ausdauer

Schon einmal von den exekutiven Funktionen gehört? Nein? Dabei sind Lehrerinnen und Lehrer meist Experten, was die Förderung dieser wichtigen Gehirnfunktionen anbelangt. Exekutive Funktionen und die Fähigkeit zur Selbstregulation sind eine wichtige Grundlage für den schulischen Lernerfolg und für eine gesunde sozial-emotionale Entwicklung der Kinder. Im Folgenden erfahren Sie mehr darüber, was Kinder am Lernerfolg hindern kann und wie sie fit fürs Lernen werden.
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Fit fürs Lernen: So trainieren Kinder ihre Aufmerksamkeit und Ausdauer
Schon einmal von den exekutiven Funktionen gehört? Nein? Dabei sind Lehrerinnen und Lehrer meist Experten, was die Förderung dieser wichtigen Gehirnfunktionen anbelangt. Exekutive Funktionen und die Fähigkeit zur Selbstregulation sind eine wichtige Grundlage für den schulischen Lernerfolg und für eine gesunde sozial-emotionale Entwicklung der Kinder.
DetailsWarum müssen manche Schülerinnen oder Schüler mehrmals aufgefordert werden, sich einer Aufgabe zuzuwenden, während andere sich sofort in ihr Tun versenken? Eine Antwort kann sein: Weil ihre exekutiven Funktionen schwächer ausgebildet sind. Dadurch haben sie größere Schwierigkeiten, ihr Verhalten, ihre Emotionen und ihre Aufmerksamkeit zu steuern. Diese Kinder zeigen vermehrt Umstellungsprobleme, z. B. vom freien Spiel auf Stillarbeit oder vom Bereitlegen der Arbeitsmaterialien bis hin zum eigentlichen Start der Aufgabenbearbeitung. Es fällt ihnen schwer, sich auf neue Aufgaben und Arbeitsanweisungen einzustellen. Kinder mit schwachen exekutiven Funktionen sind leichter ablenkbar, vergessen häufiger als andere Kinder Arbeitsanweisungen, sie verlieren sich in mehrteiligen Aufgaben und haben Probleme, diese zu Ende zu führen. Andere Schülerinnen und Schüler können spontane Impulse kaum unterdrücken und fallen oftmals durch unbeherrschtes oder aggressives Verhalten auf. Diese Beispiele machen die Bedeutung der exekutiven Funktionen im Schultag deutlich – dazu zählen das Arbeitsgedächtnis, die Inhibition (Impuls- und Aufmerksamkeitskontrolle) und die kognitive Flexibilität.
Es ermöglicht, Informationen über einen kurzen Zeitraum zu
speichern und mit den gespeicherten Informationen arbeiten
zu können. Das ist eine zentrale Fähigkeit, von der schulische
Leistungen in allen Fächern abhängen. Beim Kopfrechnen
gilt es, Zahlen und Aufgabenstellungen im Arbeitsgedächtnis
zu speichern, während die Kinder Rechenregeln
anwenden, und Zwischenergebnisse aufrechtzuerhalten
und weiterzuverarbeiten, um zur richtigen
Lösung zu gelangen.
Beim Schreiben müssen sie Sätze im Arbeitsgedächtnis
behalten und dabei einzelne Wörter buchstabieren, Silben
schwingen, Wörter verlängern oder ableiten,
sich an Merkwörter erinnern, ohne den Satz zu
vergessen. Täglich gilt es, sich Anweisungen
der Lehrerin oder des Lehrers zu merken,
während die Kinder einzelne Aufgabenschritte
in einer bestimmten Reihenfolge
ausführen. Es gibt zahlreiche Beispiele,
die aufzeigen, wie entscheidend das
Arbeitsgedächtnis für den Lernerfolg ist.
Wie das Arbeitsgedächtnis, so beeinflusst
auch die Inhibition über die gesamte
Schulzeit schulische Leistungen wie die Rechen- und die
Lesekompetenz. Die Inhibition versetzt die Kinder in die Lage,
spontane Impulse zu unterdrücken, die Aufmerksamkeit willentlich
zu lenken und Störreize auszublenden. Das alles sind wichtige
Kompetenzen, insbesondere für einen offenen Unterricht
und für individuelles Lernen. Gleichzeitig gelingt es, mit Einsatz
der Inhibition diejenigen Aktivitäten oder Handlungen zu vermeiden,
die dem angestrebten Ziel oder aktuellen Kontext entgegenstehen.
Inhibition unterstützt die Kinder dadurch in vielfältigen
Situationen: wenn es gilt, kurz innezuhalten, um das Geschriebene
oder das errechnete Ergebnis zu überprüfen; wenn es
erforderlich ist, die Aufmerksamkeit auf die Worte der Lehrerin
zu lenken und störende Handlungen oder Äußerungen der
Mitschüler auszublenden; wenn es notwendig ist, das Spielen
zu beenden, um mit den Hausaufgaben zu beginnen oder
um einen Konflikt mit Worten und nicht mit Fäusten auszutragen.
Sie befähigt, den Fokus der Aufmerksamkeit gezielt zu wechseln
(z. B. von den Erläuterungen des Lehrers auf die Aufgabenstellung
im Arbeitsblatt) und sich schnell auf neue Arbeitsanforderungen
einstellen zu können (vom Deutsch- auf den
Englischunterricht, vom Lesen zum Schreiben, von Additionszu
Subtraktionsaufgaben etc.).
Diese wichtige Gehirnfunktion unterstützt die Kinder somit
auch bei der flexiblen Auswahl von Rechen- bzw. Lösungswegen
und Hilfsmitteln. Sie beschreibt zudem die Fähigkeit, Personen
und Situationen von anderen oder neuen Perspektiven aus zu
betrachten und zwischen diesen Perspektiven zu wechseln.
Die Flexibilität hilft, offen für die Argumente anderer zu sein,
aus Fehlern zu lernen und sich auf neue Anforderungen und
Lebenssituationen schneller und besser einstellen zu können.


Die exekutiven Funktionen steuern im Zusammenspiel die Fähigkeit
zur Selbstregulation und befähigen damit zu Mitgefühl und
Selbstbeherrschung – zwei wichtige Grundlagen für das soziale
Zusammenleben in Schule, Familie und Freundeskreis. Sie unterstützen
die Kinder zudem dabei, Entscheidungen zu treffen, organisiert,
planvoll und zielgerichtet vorzugehen, das eigene
Handeln zu reflektieren und es gegebenenfalls zu korrigieren.
Herausfordernde oder ermüdende Aufgaben meistern nur die
Kinder, die in der Lage sind, spontane Impulse zu unterdrücken
und damit eigene Bedürfnisse für eine gewisse Zeit hintenanzustellen
– man spricht auch von Belohnungsaufschub. Wer sein
angestrebtes Ziel nicht aus den Augen verliert und Ausdauer hat,
wer flexibel reagiert und sich nicht allzu leicht ablenken lässt,
kann erfolgreich lernen.
Damit tragen die exekutiven Funktionen und die Fähigkeit zur
Selbstregulation auch zur Willensbildung und zu diszipliniertem
Verhalten bei. Sie sind folglich auch die Grundlage für eigenverantwortliches und selbstgesteuertes Lernen und Arbeiten.
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Die exekutiven Funktionen und die Selbstregulationsfähigkeit
sind für den Lernerfolg mindestens ebenso bedeutsam wie
die Intelligenz, so haben Langzeitstudien gezeigt. Die kindliche
Selbstregulation ermöglicht sogar Aussagen zum sozioökonomischen
Status und Einkommen sowie zur Gesundheit im Erwachsenenalter
– und dies unabhängig von der sozialen Schicht
der Eltern, dem Geschlecht des Kindes oder seiner Intelligenz.
Wenn Schulen die Kinder auf das Leben vorbereiten wollen,
dann müssen sie die Selbstregulation und die der Selbstregulation
zugrunde liegenden exekutiven Funktionen der Kinder fördern.
Aus diesem Grund sollten all diejenigen, die Kinder in ihrer
Entwicklung und beim Lernen begleiten, über die Bedeutung
und Förderung der exekutiven Funktionen und der Selbstregulation
informiert sein.
Dafür ist es hilfreich, über ein neurobiologisches Hintergrundwissen
zu verfügen, das man selbst Kindern im Grundschulalter
kindgerecht vermitteln kann.
Dass Kinder noch größere Schwierigkeiten haben, ihre Aufmerksamkeit,
ihr Verhalten und ihre Gefühle zielgerichtet zu steuern,
ist neurobiologisch begründet: Das kindliche Stirnhirn, der
präfrontale Kortex, in dem die exekutiven Funktionen schwerpunktmäßig
repräsentiert sind, ist noch nicht ausgereift. Der
Entwicklungsprozess des präfrontalen Kortex und damit der exekutiven
Funktionen erstreckt sich über die gesamte Kindheit bis
zum jungen Erwachsenenalter.
Das neuronale Netzwerk, das die Selbstregulationsfähigkeit
beeinflusst, umfasst neben dem präfrontalen Kortex zahlreiche
weitere Gehirnstrukturen.
Der präfrontale Kortex hat u. a. anatomische Verbindungen
zum limbischen System, das an der Emotionsverarbeitung (Mandelkern)
und an Lern- und Gedächtnisprozessen (Hippokampus)
beteiligt ist. Damit die Selbstregulationsfähigkeit, insbesondere
in emotionalen Situationen, leichter gelingt, insbesondere in emotionalen Situationen, ist es hilfreich,
die Reflexionsfähigkeit der Kinder auszubilden.
Da sich der präfrontale Kortex langsam entwickelt und vergleichsweise
langsam lernt, brauchen Kinder für die Ausbildung
ihrer Selbstregulationsfähigkeit viel Zeit und Übung. In Schulen
benötigen sie dafür die Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer,
die kontinuierlich – über Jahre hinweg – mit einer positiven,
wertschätzenden Haltung und mit viel Geduld an der Ausbildung
von deren Selbstregulationsfähigkeit arbeiten.
Wir wissen, wie bedeutsam die Selbstregulation für eine erfolgreiche,
gesunde und glückliche Entwicklung der Kinder ist.
Pädagoginnen und Pädagogen sollten deshalb Situationen,
in denen Kinder sich herausfordernd verhalten, als Chance begreifen,
Selbstregulation mit ihnen üben zu können. Nur durch
Übung können sie diese erlernen. Verhaltensprobleme sollten
damit als Ausdruck fehlender Kompetenz wahrgenommen
werden, die nicht nach Strafe, sondern nach Unterstützung verlangen.
Unterstützt wird das Erlernen der Selbstregulation u. a.
durch die Einführung und Einhaltung von (schulübergreifenden)
Regeln und Ritualen sowie das Erlernen von Strategien.
Mit dem beigefügten Material (M 1 bis 3) und den Kopiervorlagen
(KV 1 und 2) können Sie im Unterricht die exekutiven Funktionen
ihrer Schülerinnen und Schüler trainieren und so ihre
Reflexions- und Selbstregulationsfähigkeit ausbilden.
Die Aufmerksamkeitsskala auf der KV 1 kann z. B. zu Beginn
des Unterrichts, nach einer Pause oder vor einem Test eingesetzt
werden sowie in Situationen, wenn die Aufmerksamkeit der
Kinder nachlässt. Die Kinder schätzen ein, wie aufmerksam sie
im Augenblick sind. Dafür setzen sie auf der Zehnerskala ein
Kreuz an die Stelle bzw. auf die Zahl, die sie ihrer momentanen
Aufmerksamkeit zuordnen (von 1: aufmerksam bis 10: unaufmerksam).
Es ist hilfreich, die Einschätzung z. B. vor und nach
einer Achtsamkeitsübung durchzuführen, um wahrzunehmen,
wie sich die Aufmerksamkeit der Kinder dadurch verändert
bzw. verbessert hat. Eine hilfreiche Methode ist es, die Aufmerksamkeit
auf das Atmen zu lenken (Atemmeditation).
Die Aufgabe auf der KV 2 dient dem Training der selektiven
Aufmerksamkeit. Die Lehrerin oder der Lehrer bestimmt einen
Hasen (bzw. dessen Merkmale) als Vergleichshasen (z. B. rechtes
Ohr abgewinkelt und Blick nach oben). Auf ein Startsignal hin
sollen die Kinder so schnell (innerhalb ca. 2 Minuten) und so
genau wie möglich alle Hasen mit denselben Eigenschaften
(Ohrposition und Blickrichtung) durch Anstreichen hervorheben.
Zum Abgleich der Lösungen kann entweder eine Folie mit
den richtigen Markierungen auf den Overheadprojektor gelegt
werden, oder man gleicht gemeinsam die Hasen einer Zeile in
mündlicher Form ab (z. B. Lehrperson sagt: „In Zeile 1: Hase 1: ja,
Hase 2: nein, Hase 3: nein …“).
Tipp: Werden KV 1 und KV 2 laminiert, können sie als Farbkopien
– mit Einsatz eines wasserlöslichen Folienstiftes – im
Unterricht immer wieder eingesetzt werden.
Konkrete Beispiele zur Förderung exekutiver Funktionen in
Arbeitsmaterialien von Einstern und Einsterns Schwester folgen
im Klexer April 2015.
M 1: Der verrückte Schutzmann – eine Bewegungspause im Unterricht
M 2: Stoppschild – wir üben Inhibition
M 3: Der Hase Memo – wir üben genaues Zuhören
Kopiervorlage 1
Kopiervorlage 2
Dr. Sabine Kubesch
Beraterin des Cornelsen Verlages in den Fächern Deutsch und Mathematik für die Grundschule – befasst sich seit 1998 mit der Untersuchung und Förderung exekutiver Funktionen. Seit 2012 ist sie als Geschäftsführerin von INSTITUT BILDUNG plus in Heidelberg tätig. In Zusammenarbeit mit der Pestalozzischule Heidelberg erarbeitet das INSTITUT BILDUNG plus ein Kompetenzraster und Übungsformate zur Förderung von exekutiven Funktionen und Selbstregulation in der Grundschule. Weitere Informationen unter:
Weiterführende Literatur
Kubesch, S. (Hrsg.): Exekutive Funktionen und Selbstregulation. Neurowissenschaftliche
Grundlagen und Transfer in die pädagogische Praxis.
Bern: Huber 2014
Kubesch, S.: Förderung exekutiver Funktionen und der Selbstregulation
im Sport. PFiFF Lehrwerk. Heidelberg: VERLAG BILDUNG plus 2013
Lauth G.W.: ADHS in der Schule. Übungsprogramm für Lehrer. Weinheim:
Belz Verlag 2014
Lenz, D. u. Kubesch, S.: Focus on the Breathing. Heidelberg:
VERLAG BIDLUNG plus 2013
Liebers, A., Kubesch, S. u. Hansen, S.: Stopp oder es kracht!
Die Drei aus Hirnschmalz. Heidelberg: Verlag Bildung plus 2014