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Umgang mit dem Nahostkonflikt   
Bild: Shutterstock.com/EF Stock

Gesprächsführung im Unterricht  

Pädagogische Herausforderung Nahostkonflikt   

Wie können Lehrkräfte auf die Wucht der Ereignisse, die mit einer beispiellosen pädagogischen Überforderung einhergehen, angemessen eingehen – auch in Lerngruppen, in denen unverhohlene Sympathien mit den Terroranschlägen geäußert werden?   

Pädagogische Herausforderung Nahostkonflikt

Wie können Lehrkräfte auf die Wucht der Ereignisse, die mit einer beispiellosen pädagogischen Überforderung einhergehen, angemessen eingehen – auch in Lerngruppen, in denen unverhohlene Sympathien mit den Terroranschlägen geäußert werden?    

Im 75. Jahr der Gründung Israels ist auf schockierende Weise deutlich geworden, wie sehr das historische Versprechen Israels, Schutzraum und ein sicherer Ort für Jüdinnen und Juden zu sein, gefährdet ist. Die Israelis kämpfen erneut um die Existenz ihres Staates, zugleich werden Jüdinnen und Juden weltweit bedroht.   

Auch in Deutschland hat der Nahostkonflikt hohe Wellen geschlagen. Der Terrorangriff ist auf allen politischen Ebenen verurteilt worden und es hat viele Zeichen der Empathie und der Solidarität gegeben. Gleichzeitig ist die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland in den letzten Wochen dramatisch angestiegen. Solidaritätsdemonstrationen mit Palästina wurden teilweise genutzt, um Antisemitismus und den Hass auf Israel zu schüren.  


Hinweise für eine antisemitismuskritische Bildung von Dr. Martin Kloke  

Ganz gleich, ob bzw. wie intensiv der Nahostkonflikt als Thema der historisch-politischen Bildung in Lehrplänen verankert ist, sind Gespräche im Klassenzimmer wichtig. Sie können helfen, neue Sichtweisen zu vermitteln.   

Beziehungsebene im Fokus   

Gerade in heterogenen Lerngruppen mit Kindern und Jugendlichen, in deren migrantisch-nahöstlich geprägten Elternhäusern nicht selten ein medial aufgeladener Hass auf Juden und auf Israel kursiert, wird der Versuch einer vernunftbasierten Vermittlung sachorientierter Fakten kaum gelingen. In solchen Lerngruppen kann zunächst einmal nicht die Sachebene, sondern muss die Beziehungsebene im Fokus stehen: Lehrkräften als Pädagoginnen und Pädagogen ist daher zuallererst zu raten, einen persönlichen Draht zu den Schülerinnen und Schülern aufzubauen bzw. diesen nicht aufzugeben. Lehrkräfte sollten sich zwar eindeutig positionieren und dabei idealerweise ihre Lerngruppen gesamthaft einbeziehen, doch zur gleichen Zeit alles daransetzen, einzelne antisemitisch agierende Schülerinnen und Schüler kommunikativ nicht aufzugeben. So können Schüler:innen die von den Lehrkräften gesetzten roten Linien erkennen, zugleich aber auch die Erfahrung machen: „Als Mensch werde ich nicht abgelehnt.“    

Bei jungen Aktivist:innen in der Friday´s for Future-Bewegung ist es auf internationaler Ebene zu antisemitischen Äußerungen gekommen, die bei manchen deutschen Jugendlichen anschlussfähig sind. Gerade mit dem Argument des Antikolonialismus werden Erzählungen geteilt, die antisemitische Stereotype bedienen. Hier ist es ebenfalls wichtig, mit den Schülerinnen und Schülern im Austausch zu bleiben, gezielt diesen Argumenten zu begegnen und Antisemitismus zu benennen.  

Empathie-Förderung   

Lehrkräften, die diese „Beziehungsarbeit“ von Mensch zu Mensch leisten, obliegt die Aufgabe, bei allen Schüler:innen für ein gemeinsames Verständnis unserer wertegebundenen Demokratie einzustehen. Empathie-Förderung heißt dann vor allem dafür einzutreten, dass alle Menschen – unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion – ein Recht auf Leben und Unversehrtheit haben und dass es niemals eine Rechtfertigung für die gezielte Massakrierung von Kindern, Frauen und Männern geben kann.   

Multiperspektivität   

In allen Weltreligionen ist die sog. Goldene Regel verankert: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu.“ Diese einfache Grundregel des Zusammenlebens funktioniert, wenn Menschen bereit sind, ihre eigene Perspektive zu relativieren bzw. sich in die Position des Anderen zu versetzen. Wenngleich die Goldene Regel in der internationalen Politik weniger denn je durchsetzbar erscheint, so muss zumindest im pädagogisch geschützten Raum der Schule alles dafür getan werden, ihr Geltung und Respekt zu verschaffen – sie ist die Grundlage des inneren Friedens und des Zusammenhalts in einer freien Gesellschaft.   

Wertschätzende Atmosphäre   

Unterricht braucht eine vertrauensvolle und wertschätzende Atmosphäre, in der Schülerinnen und Schüler ohne Furcht vor Empörung und Bloßstellung auch Irrtümer oder Ressentiments äußern können. Gleichwohl dürfen Lehrkräfte bei antisemitischen Äußerungen nicht schweigend zur Tagesordnung übergehen, sondern müssen – hart in der Sache, freundlich im Ton – dagegenhalten und potenziell Betroffene schützen und stärken.   

Antisemitismus nicht zulassen   

Wir dürfen uns auch in schulischen Kontexten nicht an den alt-neuen Antisemitismus gewöhnen. Judenhass ist weder „normal“ noch zwangsläufig. Es gab und es gibt immer wieder Zeiten und Orte friedlicher Koexistenz zwischen Christen, Juden und Muslimen.    

Anleitung zu Quellen und Medienkritik   

Die Thematisierung des hochkomplexen Nahostkonflikts erfordert auf Seiten der Unterrichtenden Sach- und Fachkompetenz sowie Differenzierungsvermögen und Sensibilität. Dazu gehört auch die Anleitung zur Quellen- und Medienkritik, um Schülerinnen und Schüler zu befähigen, Texte, Bilder und Karten kritisch zu analysieren und ggf. zu dekonstruieren. Eine wichtige Voraussetzung für einen solchermaßen guten Unterricht sind qualitativ hochwertige Unterrichtsmaterialien.   

Verschwörungsmythen enttarnen   

Verschwörungserzählungen waren und sind häufig mit antisemitischen Vorstellungen und Projektionen verknüpft. Simplifizierte Weltbilder lassen sich als absurde Entlastungsstrategien hinterfragen, wenn Schülerinnen und Schüler die Entstehung von Verschwörungsideen beispielhaft nachvollziehen lernen.   

Unangemessene Vergleiche meiden   

Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte verbieten sich unangemessene Vergleiche und Schlussstrich-Versuche. Angebliche Parallelen zwischen Nazi-Deutschland und Israel sind nicht nur grundfalsch, sondern infam – sie verharmlosen den Holocaust und instrumentalisieren den Israel-/Palästina-Konflikt zu tagespolitischen Zwecken.   

Israels Vielfalt zeigen   

Israel ist mehr als ein wehrhaftes Krisenland. Der aktuelle Krieg gegen den Terror von außen darf nicht vergessen lassen, dass das moderne Israel ein demokratisch verfasster Staat ist, der seinen jüdischen und arabischen Bürgerinnen und Bürgern trotz großer äußerer Bedrohungen ein Maß an Freiheits- und Partizipationschancen bietet, das es im Nahen Osten sonst nirgendwo gibt. Ungeachtet aller inneren Probleme und Kontroversen ist das multikulturell-diverse Israel eine hochentwickelte Kultur-, Hightech- und Start-up-Nation – mit einzigartigen Beziehungen auch zu Deutschland.    

Kritik zulassen   

So sehr die Empörung über den barbarischen Terror der Hamas berechtigt und nachvollziehbar ist: Kritik an israelischer Regierungspolitik kann im Einzelfall genauso legitim sein, wie die Kritik an der Politik anderer Staaten – sofern diese Kritik sich von antisemitischen Ressentiments abgrenzt, d. h. in ihrer Kritik weder doppelte Standards anlegt noch dämonisierende Vorwürfe aufstellt. Das völkerrechtlich anerkannte Existenzrecht Israels ist dabei unverhandelbar.   

Palästinensische Rechte im Blick behalten  

Auch wenn sich Teile der palästinensischen Nationalbewegung für ihre Anliegen von jeher aus den dunklen Arsenalen des europäisch-christlichen und des arabisch-islamischen Antisemitismus bedienen, gibt es legitime Rechte der Palästinenser, die in einer nahöstlichen Nachkriegszeit wieder auf der Agenda stehen und auch im Interesse Israels einer einvernehmlichen Realisierung zugeführt werden müssen.    

Keine pauschale Islam-/Muslimenfeindlichkeit   

Kritik am islamistischen Juden- und Israelhass darf nicht in eine pauschale stereotype Islam- und Muslimenfeindlichkeit münden. Wie in jeder anderen Religion gibt es auch im Islam eine große Bandbreite an Menschen und Meinungen. In der arabisch-islamischen Welt ebenso wie in unserem Land gibt es muslimische Stimmen der Vernunft und der Menschlichkeit, die sich als Brückenbauer gegen jedwede Form der Menschenfeindlichkeit verstehen.    


Zum Autor  

Dr. Martin Kloke ist ein deutscher Politik- und Sozialwissenschaftler und Publizist. Er hat als Redakteur im Cornelsen Verlag viele Jahre lang Bildungsmedien für die Fächer Ethik, Philosophie und Religion mitentwickelt und in verschiedenen Kontexten zahlreiche Beiträge zur deutsch-israelischen Beziehungsgeschichte und zur Antisemitismusforschung veröffentlicht.