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Bild: Shutterstock.com/LightField Studios

Wenn ein älterer Mann jünger ist…

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Wie wir aus Höflichkeit Sprachregeln umgehen

Sie haben beim Bäcker ein paar Brötchen gekauft und das Wechselgeld liegen gelassen. Die Verkäuferin ruft Ihnen hinterher: „Hallo, junge Frau“
Fühlen Sie sich geschmeichelt, weil sie ja schon Ende fünfzig sind? 
Oder empfinden Sie es eher als Herabwürdigung, weil es Sie mit der Tochter des Nachbarn auf eine Stufe stellt?

Auch wenn es Ihnen vielleicht unangenehm ist, können Sie der Bäckerin zugutehalten, dass sie unhöfliche Kürze vermeiden und etwas verbindlich sein wollte. Das früher in solchen Situationen benutzte, oftmals herablassende „Fräulein“ ist ja inzwischen genauso aus der Mode gekommen wie das übertriebene „Meine Dame“.  

Der Versuch, die Distanz zu verringern und gleichzeitig doch höflich zu sein, treibt in der deutschen Sprache aber noch andere, für Lernende schwer zu fassende Blüten. Dazu gehört z. B. die Anrede in der 1. Person Plural. Mit: „Na, wohin wollen wir denn?“  bietet jemand an, bei der Wegsuche behilflich zu sein. Und alle kennen die Frage in der Arztpraxis oder im Krankenhaus: „Na, wie geht es uns denn?“.  Viele empfinden diese Formulierungen als unangemessen, weil sie der Art und Weise ähneln, wie wir mit Babys sprechen. Gleichzeitig ist es gerade die Sorge um den Gesprächspartner, die mit solcher Sprechweise vermittelt werden soll. Aber zwischen Höflichkeit und Überheblichkeit ist oft nur ein schmaler Grat. 

Die Frage, wie alt man ist, wenn man „eigentlich“ noch nicht „richtig“ alt ist, kann jeder für sich meist einfach beantworten. „Man ist so alt, wie man sich fühlt“, ist eine bekannte Redewendung.  

Wie sprechen wir aber über andere Menschen, ohne unhöflich oder verletzend zu sein? Die 78-jährige Frau, die neben der 91-Jährigen sitzt, beschreiben wir rücksichtsvoll als die ältere Frau, obwohl sie 13 Jahre jünger ist. Im Vergleich zum Positiv (die alte Frau) wirkt hier der Komparativ abschwächend und nicht verstärkend. Da er in diesem Fall nicht vergleichend gebraucht wird, bezeichnen wir ihn als „absoluten Komparativ“. Es ist einer jener Fälle, in denen die Form nicht mit ihrer aktuellen Funktion im Satz übereinstimmt. Das macht es für regelliebende Lernende etwas schwierig, selbst wenn das Phänomen auch in anderen Sprachen existiert. 

Dass sich Sprachwissenschaftler immer wieder mit diesem sehr speziellen Fall beschäftigen, sollte aber auf unseren Unterricht keinen Einfluss haben. Wir machen unsere Kursteilnehmer/-innen von Anfang an am besten anhand praktischer Beispiele damit vertraut. Und wenn bereits im Anfangsunterricht ein Kursteilnehmer von sich behauptet, er könne jetzt schon etwas besser Deutsch sprechen, weiß er auch, dass sein Deutsch immer noch nicht gut ist. 

Ein Beispiel für den Umgang mit dem absoluten Komparativ im Kontext „Mobile Altenpflege“ auf dem Niveau C1 finden Sie auf den Seiten 162/163 in „Fokus Deutsch – Erfolgreich in Alltag und Beruf C1“